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Einleitung III.

Atheistische Aufklärung
ist heute nötiger denn je

(1) Ja, der Atheismus heute ist im Aufbruch.

Ohne Frage gibt es in unserer Gesellschaft einen starken Säkularisierungsprozess. In Deutschland ist in den letzten Jahren die Zahl der konfessionsfreien Menschen auf über 30 Prozent gestiegen. Ein Drittel der Bevölkerung hat sich von den Kirchen losgesagt. Das einst so starke protestantische Christentum mit über 50 Prozent Bevölkerungsanteil wird hochgerechnet im Jahr 2030 bestenfalls noch 15 Prozent der Bevölkerung binden1. Viele protestantische Kirchen sind geschlossen worden – allein in Hamburg innerhalb von zwei Jahren 24 Stück. Die Zahl der Kirchenschließungen in weiten katholischen Gebieten liegt noch deutlich höher. Die Zahl der Pastoren- und gerade auch der katholischen Priesterstellen wird drastisch reduziert, Verwaltungsstrukturen unter dem Druck versiegender Steuereinnahmen radikal zusammengestrichen. Ohne die zum Teil hohen Subventionen des säkularen Staates an die Kirchen für soziale Aufgaben wären die Kirchen als Volkskirchen längst am Ende.

Viele Menschen fliehen vor der Bevormundungsautorität der Kirchen: Sie verweigern den traditionellen Glaubensgehorsams gegenüber institutioneller Religionsautorität. Sie haben Widerwillen gegen einen Gott, der das Leben fremd bestimmt, der alles kontrolliert und unter Strafe stellt, der die Menschen erst zu Sündern erklärt, um ihnen dann vergeben zu können. Sie mistrauen den kirchlichen Amtspersonen bis hinauf zu den Bischöfen, die selber ihre Ehe scheiden lassen, obwohl sie ihren Gläubigen an den Altären im Namen Gottes ewige Ehretreue abverlangen; die Kinder missbrauchen, obwohl sie Vertrauen predigen; die selber nicht an die Bekenntnisse glauben, die die Kirchenzucht ihnen vorschreibt. In vielerlei Hinsicht steht der moderne Mensch heute mit der Kirche und ihren Traditionen und Ritualen offen oder verheimlicht im Konflikt.

Ulrich Beck - Der eigene Gott

Zunehmend aber suchen die Menschen für sich selbst nach Orientierungsautorität: Innerhalb des generellen Individualisierungsprozesses der modernen Gesellschaft fühlen sie sich für sich selbst verantwortlich. Die Frage nach Gott ist für sie nicht länger eine Frage nach einer jenseitigen Person, sondern eine Frage nach sich selbst2. Schon in der Aussage Ich stelle mir Gott vor als … oder Für mich ist Gott … steckt ein entscheidender Schritt zur Liberalisierung, ja, zur Auflösung einer von den Kirchen verkündeten göttlichen Zentralgewalt. Der Mensch selber stellt sich Gott vor, das heißt, er schafft sich seinen eigenen Gott. Damit beginnt der Ausstieg aus religiöser Bevormundung, der erster Schritt zur Auflösung göttlicher Zentralmacht, die konsequent in eine atheistische Loslösung von Kirche und Religion führen kann3.

(2) Angesichts dieser Entwicklung ist der moderne Atheismus nicht auf der geistigen Höhe seiner Möglichkeiten.

Viel zu häufig bleibt der Atheismus immer wieder in Religionskritik stecken. Religionskritik allein ist keine positiv, keine konstruktive Antwort auf die Loslösungsprozesse der Menschen von Kirche und Religion und den daraus entstehenden offenen Lebensfragen. Natürlich muss klar und deutlich gesagt werden, wogegen der Atheismus steht. Das aber sagt doch nicht, wofür der Atheismus steht. Das sagt nicht, wie man denn wirklich als Atheist anders leben soll und kann. Hier hat vor allem auch Richard Dawkins DER GOTTESWAHN4 eher Schaden angerichtet. Er hat den Atheismus reduziert auf oft böse Religionskritik, ohne selber die positive Lebenskraft des Atheismus sichtbar zu machen. Solche Religionskritik bleibt jede positive Antwort schuldig.

Entsprechend wird der Atheismus allgemein nicht als erstrebenswertes Lebensmodell wahrgenommen, nicht als positives Selbstbewusstsein verstanden. Das hat für die Menschen, die nach neuer Lebensorientierung jenseits der Religion suchen, zur Folge, dass sie den Weg in ein Denken und Leben ohne Gott nicht ganzheitlich wahrnehmen. Atheismus ist so für sie primär Verneinung und nicht Bejahung, allzumal wenn sie auf eher spaßige Tour angesprochen werden. Das amüsiert zwar, macht existentiell aber nicht nachhaltig betroffen. Den Menschen, allzumal den religiös zweifelnden Menschen, fehlen dann Gründe dafür, dass das Leben und Denken ohne Gott an Stelle der Religion eine konstruktive Lebensgestaltung, eine wirkliche positive Existenzkraft sei.

(3) Die geistige Krise des gegenwärtigen Atheismus liegt in fehlender positiver Aussagekraft.

Es gibt zu wenig überzeugende Versuche, den Sinn eines atheistischen Lebens positiv darzustellen. Es fehlt an überzeugenden Erklärungen, warum es sich wirklich lohnt, ohne Gott zu denken und zu leben. Natürlich gibt es eine Fülle von Einzelaussagen. Einige Autoren haben gute Bücher vorgelegt und damit durchaus Aufmerksamkeit gefunden mit der Reaktion, wie nötig und wertvoll solche Orientierungshilfen für die Menschen sind 5. Dagegen aber steht eine Fülle unzulänglicher Einzelaussagen in Gesprächen und Diskussionen, die oft ohne logische Legitimation eines Gesamtbildes über Atheismus sprechen. An ihnen wird sichtbar, wie leicht die Denkfreiheit ohne Gott als private Libertinage verkürzt oder gar missbraucht wird, so als sei man im Atheismus völlig frei und könne denken und reden, was man wolle. Das kann man natürlich. Aber man verfehlt damit die eigentliche Kraft des Atheismus. Es verspielt die Überzeugungskraft für alle, die existentiell nach wirklicher Neuorientierung suchen.

Der Atheismus heute leidet an inhaltlicher Strukturlosigkeit, scheitert insgesamt an dem Anspruch logischer Legitimation und existentieller Glaubwürdigkeit. Deshalb ist der Atheismus in unseren Tagen als Lebenskonzept generell fast wirkungslos. Immer noch erscheint Atheist sein weniger als geistige Heimat als vielmehr als geistiges Vertriebensein, der Atheist nicht als stolzer Besitzer geistiger Freiheit, sondern als Enteigneter. Solange das so ist, kann ein Leben ohne Gott als ein überzeugendes Lebensmodell kein nachhaltiges Gehör finden. Denn wer sucht Heimat bei einem, der angeblich keine Heimat hat? Wen interessieren Bonmots, wenn es wirklich darum geht, Überzeugung zu finden. Nur mit einer persönlichen Überzeugung kann man wirklich Orientierung leisten, kann Wegweiser sein.

(4) Orientierungsautorität heißt dagegen: Der Atheist hat zum Leben etwas ganz Wesentliches zu sagen. Er hat viel aufzuklären und zu erklären. Er hat Substanz, Sinn und Lebenskraft anzubieten.

Damit stehen wir an einem neuen Anfang. Der Atheist muss Farbe bekennen. Er muss klar machen, warum es sich menschlich lohnt, ohne Gott zu denken und zu leben. Der Atheist muss ganz anders argumentieren, um so anderen Menschen positive Antworten zu vermitteln. Deshalb muss er sich nicht nur auf die Gründe besinnen, die ihn selbst bewegen, sondern muss auch die Hauptgründe für den Atheismus generell parat haben, um Fragenden sachgerecht antworten zu können. Das Wissen um Atheismus als Sachbestand ist unbedingt nötig. Die befreiende Kraft eines bewussten Lebens ohne Gott, ohne Religion und Kirche, liegt doch primär darin, dass der Atheist, anders als der religiös Gläubige, uneingeschränkt über das gesamte Denken und Wissen der Menschen verfügen kann, ohne seinen Verstand durch Denkverbote bedroht oder beschränkt zu bekommen. Die damit neu verbundenen Möglichkeiten und Einsichten können offenkundig gemacht und auf allen Lebensgebieten voll zur Wirkung gebracht werden. Ohne Kirche, ohne Religion, ohne Gott – welche Befreiung, welche Chancen!

(5) ATHEODOC, die neue ATHEISTISCHE ENZYKLOPÄDIE, stellt sich dieser Aufgabe. Sie will einen neuen Anfang setzen.

Ihre Aufklärung hat zum Ziel, das Denken und Leben ohne Gott als befreite autonome Existenz zu vermitteln.

Dazu hier zum Einstieg thesenartig eine Handvoll handfester Argumente:

ATHEODOC. Partner für das Denken und Leben ohne Gott

ATHEODOC. Partner für das Denken und Leben ohne Gott

1. Der Mensch kann aus seiner Vernunft heraus viel mehr, als ihm von der Religion immer eingeredet worden ist. Er kann sich selbst verantworten. Er kann lieben und geliebt werden. Er kann das Leben für sich und mit den anderen voll und sinnvoll leben. Er kann ordentlich zupacken und arbeiten. Er kann aufopfernd für den anderen da sein. Er kann sich freuen und glücklich sein. Er kann seine Kinder liebevoll erziehen. Er kann auch mal fünfe grade sein lassen. Er kann mit Anstand Abschied nehmen. Er kann bewusst und human sterben. Der Mensch ist mit seiner Vernunft offen und befähigt für alle Lebenslagen. Er muss sich nur deutlich und bewusst durchsetzen gegen die, die ihm sein Denken und Leben ohne Gott ausreden, die ihn deshalb gar diffamieren oder unschädlich machen wollen.

2. Der Mensch darf viel mehr, als kirchliche Moral ihm je erlaubt hat. Ohne göttliche Autorität hebt sich für den Menschen die Letztgültigkeit aller göttlichen Gebote auf. Es gelten für ihn nur noch die gesetzlichen Bestimmungen des Staates. Dieser gesetzliche Rahmen ermöglicht dem einzelnen Menschen in vielem einen viel größeren Spielraum für das private Leben als der enge religiöse Moralkodex.

In diesem deutlich erweiterten Lebensraum muss der Mensch lernen, in größtmöglicher Eigenverantwortung zu denken und zu handeln. Ein erster Maßstab dafür ist der Ratschlag des alten Epikur: Leb dein Leben! Tue alles, was dich glücklich macht. Doch tue nie etwas, was du morgen bereust. Das gilt für alle Lebenssituationen im Glück und im Unglück, besonders auch bei ausgelassener Lebensfreude und flüchtigen Verlockungen.

3. Der Mensch muss heilsnotwendig viel weniger wissen, als Religion und Kirche ihm immer auferlegt haben. Alles religiös Verpflichtende kann ein Atheist schlicht vergessen. Wenn er wirklich frei denkt, braucht er über Gott, über Religion, über Kirche nicht mehr nachzudenken. Ob und warum Maria nun Jungfrau war, ob Jesus in welcher Art auch immer ein Trinitätswesen war oder ist, ob es eine Erbsünde gibt – das ist nichts als dogmatisch-theologische Akrobatik. Ohne sie lebt es sich viel leichter, und die Erde dreht sich doch.

Der Orion-Nebel. Faszinierende Wissenschaft

4. Der Mensch kann sich ganz auf das Säkulare einlassen. Er kann und darf die Welt sehen, wie sich ihm das Säkulare entfaltet. Dabei wird er sich immer sicherer in einem atheistischen Realismus zurechtfinden, denn es gibt außerhalb religiöser Glaubensgrenzen die ganze Welt auch säkular: Großartige Gedanken und Ideen, faszinierende Wissenschaften. Hervorragende Literatur. Tiefbewegende Musik. Wunderschöne oder aufregende Kunst. Erhabene Augenblicke. Tiefe Liebe. Spannende Situationen und Erfolg. Vertrauen. Trost. Nähe und Hilfe. Natürlich auch alles menschliche Elend – und den Willen, dagegen mit aller menschlichen Kraft anzukämpfen.

Grundwissen um unsere Realität

5. Atheistischer Realismus kann deutlich machen, dass die schönste Geschichte der Welt6 die evolutionäre Entstehung des Kosmos ist mit ihrer ungeheuren Entfaltung von Strukturen, Formen und Ordnungen. 13,7 Milliarden Jahre Entwicklung endloser Fülle von Kraft und Schönheit in faszinierenden Bildern, Gedanken und Theorien bis hin zum Menschen auf Erden inmitten einer großartigen Natur. – Was ist dagegen die Vorstellung wirklich wert, dass ein irgendwie menschgestaltiges Wesen in sieben Tagen die Welt geschaffen haben soll? Doch eigentlich nur eine sehr blasse Personality-Story.

6. Atheistischer Realismus kann verständlich machen, dass die Natur ein natürliches Maß auch des Menschen ist. Der Mensch kann sich durchaus im Lebensrhythmus von Werden und Vergehen der Natur verstehen mit Geburt- Lebensentfaltung – und Sterben. Dabei kann der Mensch die tiefe Einsicht gewinnen, dass der Tod das absolute Nichts ist, ein ewiger Friede. Dieser befreiende Gedanke steht und gilt gerade auch gegen die Vorstellung einer ewig weitergeführten Fremdherrschaft Gottes über die Menschen mit Fegefeuer, Hölle oder himmlischem Gottesjubel der Engel und aller himmlischen Heerscharen. Wer will den eigentlich wirklich?

7. Atheistischer Realismus kann zeigen, dass die Freundschaft der Menschen miteinander im Einzelnen und im Ganzen die höchste Qualität menschlicher Gemeinschaft ist, eine humane Balance von gefühlter Nähe und respektierenden Distanz, durch die Machthierarchie, Religions- und Glaubensschranken, Geschlechts- und Altersunterschiede, Besitz- und Bildungsvorteile abgebaut werden können. In der Freundschaft liegt die Grundlage eines säkularen Humanismus: Nicht Gott ist Liebe, sondern Liebe ereignet sich da, wo Menschen in freundschaftlicher Zuwendung miteinander kommunizieren und leben.

  1. Carsten Frerck, xxxxxxxxxxxxxx in FOWID.
  2. Ulrich Beck, DER EIGENE GOTT. FRIEDENSFÄHIGKEIT UND GEWALTPOTENTIAL DER RELIGIONEN, Frankfurt/Main, 2008.
  3. Siehe speziell zum Thema Eigener Gott und Atheist werden DISKURS 04.06
  4. Richard Dawkins, DER GOTTESWAHN, Berlin. 2006. Originaltitel: THE GOD DELUSION, London, 2006. Das erfolgreichste Buch der letzten Jahre zum Thema Religionskritik.
  5. Joachim Kahl, WELTLICHER HUMANISMUS. EINE PHILOSOPHIE FÜR UNSERE ZEIT, Münster, 2006; Michael Schmidt-Salomon, MANIFEST DES EVOLUTIONÄREN HUMANISMUS. PLÄDOYER FÜR EINE ZEITGEMÄSSE LEITKULTUR, Aschaffenburg, 2006; Paul Schulz, CODEX ATHEOS. DIE KRAFT DES ATHEISMUS, Cuxhaven, 2006; ders. ATHEISTISCHER GLAUBE. EINE LEBENSPHILOSOPHIE OHNE GOTT, Wiesbaden, 2008.
  6. Hubert Reeves pp, DIE SCHÖNSTE GESCHICHTE DER WELT. VON DEN GEHEIMNISSEN UNSERES URSPRUNGS, Bergisch Gladbach, 1998. Für jeden, der sich schnell in die Fragen der Evolution der Natur und des Menschen hineindenken oder sein etwas verblasstes Wissen auffrischen möchte.