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Einleitung IV.1

Auf der Suche nach einem
MAGNUS KONSENSUS
im Denken ohne Gott

(1) Der Atheismus anerkennt kein Dogma, keine absoluten Bekenntnissätze, keine letztgültigen Wahrheiten, die von irgendeiner Autorität oder Institution direktivistisch vorgegeben sind.

Atheismus bedeutet von daher grundsätzlich Kritik an statischen Denksystemen. Das entscheidende Kriterium für ein Denken ohne Gott ist deshalb prinzipielle Skepsis. Von daher steht der Atheismus in einer langen Tradition kritischer abendländischer Philosophie, dem Skeptizismus. Schon Sokrates war der große Skeptiker mit seinem berühmten Satz oida ouk oida – Ich weiß, dass ich nichts weiß. Er meinte damit nicht, dass er überhaupt nichts wisse. Er meinte damit, dass er nichts Absolutes, nichts Letztgültiges wisse, dass er nichts endgültig Wahres erkannt habe. Deshalb stellte er alles in Frage, was ihm als Wahrheit angeboten wurde, vor allem auch alles Religiöse. Am Ende seines Lebens sagte er, er habe sein ganzes Leben danach geforscht, was sich seinem Verstand als das letztgültig Wahre, als der Logos erweisen würde. Aber: Er war damit nie zu einem endgültigen Ende gekommen. Wie Sokrates setzt ein Atheist erkenntnistheoretisch voraus, dass Erkenntnis und Wissen über Natur und Wirklichkeit, über Werte, Lebenssinn und Existenz prinzipiell nie endgültige, sondern nur relative, nur immer vorletzte Aussagen sein können.

(2) Der Atheismus formuliert deshalb selbst auch keine Dogmen oder sonstige letztgültigen Wahrheiten.

Als Atheist reden bedeutet deshalb immer, auf dogmatischen Letztanspruch zu verzichten. Ein Denken ohne Gott unterscheidet sich von diesem Denkansatz her allein schon deshalb prinzipiell von allen religiösen, speziell kirchlich-theologischen Glaubenssystemen. Zugleich steht es auch konträr zu allen autoritären, weltlich-ideologischen Denksystemen. Es lässt damit ganz gezielt jedem Menschen selbst den größtmöglichen eigenen Denkrahmen. Ein Atheist ist von daher ein Mensch, der sich prinzipiell selbst verantwortet. Er ist im Letzten rationaler Individualist. Er weiß sich seiner eigenen Vernunft und seinem eigenen Gewissen gegenüber verantwortlich.

(3) Trotzdem bedarf gerade auch der Atheismus insgesamt natürlich systematischer Strukturen des Denkens.

Jeder sich darstellende Gedankenzusammenhang unterliegt einer logischen Gedankenfolge und einer notwendigen Sinnhaftigkeit. Nicht nur ein Gedanke in sich, sondern auch mehrere Gedanken im Zusammenhang oder gar in einer übergreifenden großen Theorie erfordern eine übergreifende Logik. Nur in einem verbundenen Zusammenhang lassen sich Gedanken transportieren, werden sie zu einem Stück kollektiven Bewusstseins mit nachhaltiger Wirkung.

Lukrez

Ein gutes Beispiel dafür ist das große atheistische Lehrgedicht DE RERUM NATURA – ÜBER DIE NATUR des altrömischen Denkers Lukrez aus dem -1. Jahrhundert. In DE RERUM NATURA hat Lukrez die gesamte säkulare Weltsicht der griechischen Antike zusammengefasst und damit für die nachfolgenden Jahrhunderte Orientierungslinien des säkularen Denkens definiert. Dieses Lehrgedicht hatte für die folgenden religiösen Auseinandersetzungen mit der aufkommenden christlichen Religion große Bedeutung, weil es für die Nichtreligiösen zur Grundlage ihres Denkens und ihrer Existenz wurde bis hin zu Hypatia, der großartige Gelehrtin aus Alexandria in Ägypten, der ersten Märtyrerin brutaler christlicher Heiden-Verfolgung in Jahre 391.

Pierre Gassendi

Als dann nach langem Kampf die heidnische Säkularphilosophie vom Christentum und ihren absoluten dogmatischen Glaubenssätzen besiegt schien, kam Lukrez mit seinem atheistischen Lehrgedicht eigentlich erst zu seinen entscheidenden Erfolg: Dieses antireligiöse Lehrgedicht wurde später im christlichen Abendland von dem Philosophen Pierre Gassendi wiederentdeckt, neu durchdacht und von ihm in die Neuzeit übertragen. Von da nahmen die Gedanken von Lukrez Einfluss auf Galileo Galilei und auf Leibniz. Sie bildeten so einen wichtigen Ausgangspunkt der neuen naturwissenschaftlichen Bewegung im Abendland. Sie haben dann sogar im 18. Jahrhundert die französischen Materialisten beeinflusst und ganz konkret den Atheismus der Neuzeit angestoßen.

Das Beispiel von Lukrez zeigt, wie gesellschaftlich wirkungsvoll und notwendig ein in sich formulierter Denkansatz sein kann, indem er sogar einen Brückenschlag zwischen Antike und der Renaissance herstellte bis in die moderne Aufklärung hinein.

Grundsätzlich bedeutet das: Nachhaltigkeit auch im atheistischen Denken heute ist nur dadurch zu erreichen, dass zentrale Gedanken in sich schlüssig zusammengefasst und somit Ausdruck von größeren Denkzusammenhängen werden und zu einem MAGNUS KONSENSUS zusammenwachsen, zu einer größtmöglichen Übereinstimmung. Diese Übereinstimmung gewinnt in der Weise an Bedeutung, wie sie generell zur Richtlinie wird, an der möglichst viele Nichtreligiöse Maß nehmen und in einem gemeinsamen Bewusstsein gesellschaftlich Position beziehen.

(4) Die persönliche Beliebigkeit atheistischer Standpunkte ist nur dadurch zu überwinden, dass sich in Zentralaussagen eine wachsende Übereinkunft der vielen Mitdenkenden entwickelt.

Diese Aussage wäre fast banal, wenn die Tatsache der geistigen Uneinigkeit in der modernen Szene der Nicht-Religiösen nicht überall geradezu als Prinzip begegnen würde. Die geistige Position des Nicht-Religiösen ist in unzählige individuelle Denk- und Meinungsfetzen zerstückelt und damit in totale Beliebigkeit zerflattert. Nicht, weil der Atheismus in seinem Denksystem zerstückelt und zerflattert wäre, sondern weil sich Atheisten oft in geistiger Libertinage verhalten. Sie missverstehen oder missbrauchen das Denken ohne Gott in seiner Konsequenz als ein in sich logischer MAGNUS KONSENSUS über unsere Welt und unser autonomes Leben. Sie reiten das Prinzip der Denkfreiheit dagegen zu Tode.

Bleiben wir dagegen bei Lukrez. Schon bei ihm ging es erklärtermaßen nicht um irgendeine Bevormundungsautorität, der sich jeder zu beugen hätte. So auf keinen Fall. Es ging um Orientierungsautorität, um die Möglichkeit also, an verlässlichen Orientierungspunkten Maß nehmen zu können, um die Welt und sich selbst sachgerechter verstehen und selbstbewusster leben zu können. Die Beweiskraft lag schon bei ihm ausschließlich in verlässlichen Sachpunkten, die logisch überzeugen.

Ein solcher zentraler sachlicher Orientierungspunkt aus Lukrez´ Lehrgedicht damals ist für uns heute sein Verständnis der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse als Basis eines atheistischen Weltbildes, das heißt: Atheistisches Denken kann nicht gegen die Natur gehen, sondern nur mit der Natur und damit mit den Naturwissenschaften. Ein  entscheidender Basissatz.

Wer sich nur ansatzweise auf diesen elementaren atheistischen Grundsatz einlässt, der merkt sofort, dass damit sein ganzes Denken herausgefordert und neu in Gang gesetzt wird. Für die Christen damals und ihren religiösen Jenseitsglauben war das eine höchst provokative Herausforderung. Für ihre atheistischen Gegner war es der Basissatz ihres MAGNUS KONSENSUS, mit dem sie ihren Kampf gegen die christliche Religion führten und ihre nicht religiöse Existenz gemeinsam verteidigten.

Könnte dieser Basissatz auch zu einem MAGNUS KONSENSUS für den Atheismus unsere Tage werden, und damit zu einem Kampfsatz, der das altgängige christliche Weltbild noch einmal frontal angreift und damit die immer noch praktizierte autoritäre religiöse Bevormundung?

Da genau liegt das Problem der modernen Aufklärung. Ist der moderne Atheismus in seiner Breite überhaupt konsensfähig, konsenswillig? Oder gefällt er sich in seiner Individualisierung so, dass es zu einem MAGNUS KONSENSUS in zentralen Fragen gar nicht kommen kann, gar nicht kommen soll?

(5) Wer sich über seine eigene atheistische Meinung hinaus auf einen MAGNUS KONSENSUS hin bewegen lässt, der entdeckt den Atheismus völlig neu.

ATHEODOC schafft größere Gedankenzusammenhänge, die das eigene Wissen und Bewusstsein durch einen sich bildenden MAGNUS KONSENSUS wesentlich bereichern. Auf der Suche nach einem MAGNUS KONSENSUS im Denken ohne Gott bieten sich dafür sofort drei große Aufklärungsbereiche an:

Erstens: Das säkulare Weltverständnis: Im Sinne des Basissatzes von Lukrez hat alles atheistische Denkens die Natur und damit die Naturwissenschaften zur Grundlage. Es gibt kein Denken ohne Gott außerhalb oder gar gegen, sondern nur mit den Naturwissenschaften. Mit der Anerkennung der Naturwissenschaften und ihrer Ergebnisse hat das atheistische Denken die größtmögliche säkulare Basis. Die Denkoffenheit der naturwissenschaftlichen Forschung garantiert darüber hinaus dem atheistischen Weltbild auf Zukunft hin die größtmögliche Offenheit gegenüber allen weltlichen Erkenntnissen: Dieser MAGNUS KONSENSUS im säkularen Weltverständnis ist zugleich der schärfste Widerspruch zum jüdisch-christlichen Welt- und Gottesbild und entsprechend auch zum Islam.

Zweitens: Das weltlich-humane Menschenbild: Die gesamten ethischen Kulturanstrengungen des Abendlandes auf einen säkularen Humanismus hin bilden die Grundlage eines humanen Menschenbildes und damit einer atheistischen Ethik. Wo immer Gedanken entwickelt worden sind für eine positive weltliche Ethik können sie als Grundlage gesehen werden für eine Ethik ohne Gott. In ihr ist allein der Mensch Garant des positiven Handelns in der Welt. Nur der Mensch und die Menschen selbst tragen die Verantwortung, sind die letzte Instanz aller Handlungsabläufe im Großen wie im Kleinen. Der MAGNUS KONSENSUS im weltlich-humanen Menschenbild ist zugleich der schärfste Widerspruch zur jüdisch-christlichen Obrigkeitsethik ihres Gottes und entsprechend auch zum Islam.

Drittens: Das autonome Ich-Bewusstsein: Alle Bemühungen und Fortschritte, die seit Beginn des antiken Abendlandes und in aller späteren Zeit um die Selbstständigkeit des Individuums in politischer und geistiger Freiheit erfolgt sind, bilden die Grundlage des autonomen Ich-Bewusstseins des Atheisten und kommen in seinem Selbstverständnis ohne Gott voll zur Verwirklichung. Durch die Loslösung von Gott als der höchsten religiösen Autorität setzt sich der Mensch frei von der größtmöglichen Fremdbestimmung. Ohne göttliche Fremdbestimmung lernt der Mensch, in Eigenverantwortung zu denken und als selbstständiger Mensch zu leben. Der MAGNUS KONSENSUS im autonomen Ich-Bewusstsein ist zugleich der schärfste Widerspruch zum jüdisch-christlichen Gottesgehorsam und entsprechend auch zum Islam.