Buch 14: Atheistische Spiritualität

Besinnliche Texte, Musik-, Bild- und Gedichtinterpretationen

Diskurs 14.21


Bilder von Dorle Wolf.
Spiritualität ohne religiösen Hintergrund

SPIRITUALITÄT IN BILDERN OHNE RELIGIÖSEN HINTERGRUND?
DIE QUELLEN DER INSPIRATION

Stimmungen und emotionale Erlebnisse, die oft von Naturerlebnissen oder Gedichten und Musik ausgelöst werden, sind die Basis für meine Bilder, nicht eine religiöse Weltanschauung, sondern die Liebe zur Natur und der Drang, meine persönlichen Erlebnisse, meine Gedanken- und Empfindungswelt in Bildern auszudrücken. Manche Arbeiten kann man wohl als spirituell bezeichnen, obwohl ihnen nicht ein bestimmtes Weltbild zugrunde liegt. Die Kunsthistorikerin Dr. Eva Suzanne Bayer (Würzburg) hat es einmal so formuliert: „Dorle Wolf reizt ihre poetische Phantasie von der Wirklichkeitsparaphrase bis zum Blick ins Spirituelle aus … Jedes einzelne Bild wird in seinem Ergebnis an seiner Wahrhaftigkeit und emotionalen Genauigkeit gemessen.“

Der entspannte Blick in den Ferienhimmel, das wohlige Gefühl, unter einem Baum ruhen zu dürfen. Es locken und warten der goldene Strand und das kühle Bad im Meer. Wenn man das Bild um 90 Grad dreht, klingt plötzlich die hügelige Landschaft der kroatischen Insel Pag an – so habe ich mit dem Bild angefangen. Dann habe ich es gedreht und weiter gemalt.Stunde des AbschiedsStunde der Geborgenheit (3D)

Acryl auf Hartfaserplatte, 90x90cm, Nr. 394 (2001)

Der Tod, das Entschwinden in eine andere Welt. Ein Bild vom Verlassen müssen und Verlassenwerden. Ich malte es zum Tod meiner Mutter, die eine sehr religiöse Frau war.

Acryl auf Hartfaserplatte, 90x90cm, Nr. 425 (2002)

Leuchtendes Rot des Glücks, gesäumt von Licht und Dunkelheit. Wie eine Keimzelle ist es versteckt und geschützt – und geborgen in der spiraligen Hülle wie in einem Schneckenhaus.

Aus der Serie der Insel PAG

Meeresleuchten (3D) Das goldene Netz (3D)

Acryl auf Hartfaserplatte, 80x80cm, Nr. 463 (2002)

In milden und dunklen Nächten gibt es ein seltenes Ereignis, das Meeresleuchten. Im bewegten Wasser leuchten Tausende kleiner Lebewesen auf. Ihr Blinken umflutet den Schwimmer als schwebe er mitten in einem Himmel voller Sterne.

Acryl auf Hartfaserplatte, 80x80cm, Nr. 472 (2003)

Dunkelheit, ein fahler Mond, und schemenhaft ein Boot. Nur der Schimmer am Himmel und ein Netz leuchten golden über dunkelblauem Wasser.

 

Wildblumenduft

Acryl auf Hartfaserplatte, 80x80cm, Nr. 474 (2003)

Karge, Wärme liebende Pflanzen: goldgelb, grau und blau, von Staub überpudert. Und über allem steigt eine zarte Wolke aus Duft in den Himmel.

Aus der Serie FARBEN DER ZEIT

Das „Compictorium Farben der Zeit“ ist eine Bilderfolge aus 48 Arbeiten, von denen je zwölf den verschiedenen Jahreszeiten gewidmet sind. Die Bilder sind mit Acrylfarben auf quadratische Holzplatten gemalt. Man kann sie in der Mitte so befestigen, dass sie sich an der Wand drehen lassen.

Dr. Eva-Suzanne Bayer kommentierte das so: „Eine weitere Innovation liegt im völlig anderen Betrachter-Aspekt. üblicherweise hängen Gemälde fest an der Wand und schreiben dem Betrachter vor, wie und von welchem Standpunkt aus sie konsumiert werden wollen. Oben und unten, rechts und links sind genau definiert. Selbst die Komposition eines informellen Bildes verrät dem Betrachter fast immer, in welcher Richtung es gelesen sein will.

Bei Dorle Wolf ist der Betrachter autonom. Um seine Freiheit zu bewahren, sind die Bilder auf der Rückseite signiert, denn eine Signatur würde die Bildbetrachtung regeln. Sowohl das Nebeneinander der Gemälde, wie auch die Orientierung jedes einzelnen Bildes ist also variabel… Dieser Verzicht auf eindeutige Richtungen hat selbstverständlich Folgen für die Komposition. Der Fixpunkte „Erde“ und „Himmel“ aber beraubt, beginnt das Bildmotiv zu schweben. Verstärkt wird diese entwurzelnde Wirkung durch die 3D-Brille, die zusätzlich Raumtiefe schafft…“

Vielleicht kann Malerei, ähnlich wie Musik, die vier Jahreszeiten beschreiben. Klaus Geitel sagte zu Vivaldis „Vier Jahreszeiten“: Sie „blicken gewissermaßen mit jungen Augen die Ewigkeit an. So vielleicht sehen Kinder den Tod. Die „Vier Jahreszeiten“ sind schließlich nichts anderes als die vier Lebensalter des Jahres. Der Kreislauf von Werden und Vergehen gilt auch für sie.“

Alle 48 Bilder, im Siebenfarbendruck in Originalgröße (40 x 40 cm) reproduziert, haben mein Mann und ich auf Holzwürfel montiert. So kann man sie als „Compictorium“ beliebig kombinieren, stapeln und drehen.

FRÜHLING

Früher Frühling

Acryl auf Holz, 40x40cm, Nr. 499 (2004)

Mainacht (3D) Ein Tag im Mai

Acryl auf Holz, 40x40cm, Nr. 504 (2004)

Acryl auf Holz, 40x40cm, Nr. 503 (2004)

Mondnacht
(Joseph von Eichendorff, 1788 – 1857)

Es war, als hätt der Himmel
die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer
von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
die Ähren wogten sacht,
es rauschten leis die Wälder,
so sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.

SOMMER

Morgendämmerung (3D)

Acryl auf Holz, 40x40cm, Nr. 531 (2005)

Aus dem Gedicht
Nächtlicher Garten
(Manfred Hausmann, 1898 – 1986) Wie weiß die großen Glockenblumen glimmen!
Der Rittersporn, die Malven glimmen auch,
die fast in ihrer Dämmerung verschwimmen.
Fern duftet ein Holunderstrauch.
… tief in den Heckenrosen
geschieht ein Vogellaut wie aus Versehn.
Und jedes lebt für sich im Grenzenlosen
und kann sein Leben nicht verstehn.Ein heißer Sommertag (3D)Sommer an den Altwassern des Mains (3D)

Acryl auf Holz, 40x40cm, Nr. 510 (2004)

Acryl auf Holz, 40x40cm, Nr. 514 (2004)

HERBST

Herbstkräftig die gedämpfte Welt Oktober (3D)

Acryl auf Holz, 40x40cm, Nr. 534 (2005)

Acryl auf Holz, 40x40cm, Nr. 526 (2005)

Spätherbst (3D)

Acryl auf Holz, 40x40cm, Nr. 527 (2005)

Septembermorgen
(Eduard Mörike, 1804 – 1875)Im Nebel ruhet noch die Welt,
noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
den blauen Himmel unverstellt,
herbstkräftig die gedämpfte Welt
in warmem Golde fließen.

WINTER

Sonne und Schnee

Acryl und Sand auf Holz, 40x40cm, Nr. 495 (2004)

Eispfeile Klirrende Kälte

Acryl und Sand auf Holz, 40x40cm, Nr. 497 (2004)

Acryl auf Holz, 40x40cm, Nr. 536 (2006)

Hierzu angeregt hat mich das
gleichnamige Gedicht von
Peter Huchel (1903 – 1981):

„… Ein Regen aus Pfeilen,
ins Eis gesplittert,
so steht das Schilf
und klirrt und zittert.

WASSER

Wasser fasziniert mich schon seit meiner Kindheit. Immer wieder bin ich überrascht vom Wechsel der Farbenspiele und des Lichts – geprägt nicht nur durch die Jahreszeiten, sondern auch durch Tageszeit und Wetter: Sonnenpracht oder Regengüsse, Gewittertoben und Windessausen, Schneegestöber und Eiseskälte. Aber das Besondere ist, dass es sich bewegt und als riesiger Spiegel mit wandelbarer Oberfläche in der Landschaft liegt, unten und oben verkehrt und den Himmel und seine Lichter herunterholt zur Erde, und mit dem Wind als Komplizen kopfstehende Berge und Bäume zum Schlingern bringt.

Von atemberaubender Schönheit sind seine verschiedenen Gesichter: In Wolken segelt es über den Himmel, glitzernde Tautropfen streut es in die Natur, verhüllt die Welt im Nebel und dämpft das Leuchten der Farben. Raureif webt kristallne Konturen um Blätter und Halme, und Eis macht spiegelnde Flächen blind. Das weiße Laken des Schnees dämpft jeden Ton, rundet schroffe Formen und Kanten. Aber auch wüten und toben kann das Wasser. Brecher mit schäumender Gischt werden zu geballter, zerstörender Kraft, Mahlströme aus Packeis zu krachenden Ungetümen und Lawinen zu riesigen kriechenden Schlangen, die alles vernichten, was ihnen im Weg steht. Es verkörpert alles zugleich: Bezaubernde Schönheit, grausame Kraft und kostbare Quelle des Lebens

Es gibt also viele Gründe, Wasser zu lieben, ihm respektvoll zu begegnen – und es zu malen. Man könnte wohl ein ganzes Leben lang nur Wasser malen und würde doch nur einen Teil von dem erfassen, was es ausmacht und wie verschieden es daherkommt. Auslöser für ein neues Bild sind auch bei diesem Thema hier oftmals Naturerlebnisse, Gedichte oder Musik. Und so oszillieren meine Wasserbilder zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion.

Dünung Helles Wasseraug’

Acryl auf Holz, 70x100cm, Nr. 570 (2008)

Acryl auf Leinwand, 110x180cm, Nr. 591 (2009)

Im Bild „Dünung“ gibt Grundierweiß die reliefartigen Strukturen vor, die – durch Farben verstärkt – zur Bewegung des Wassers werden. Rechts unten bleibt nacktes Holz zwischen den Farben stehen und suggeriert den Eindruck von Sand und Strand. Die feinen Wasserstrukturen im Vordergrund kontrastieren mit den weichen übergängen zwischen dem Türkis und Blau im Hintergrund. So rücken Horizont und Himmel weit in die Tiefe.

Das Herannahen der Nacht (3D)

Acryl auf Hartfaser, 70x100cm, Nr. 612 (2010)

Abend am Wasser
(Oda Schaefer, 1900 – 1988)Hohe Bäume, die der Abend bräunte
mit dem Fall des Abends vom Zenit –
helles Wasserauge, buschumsäumte
Spiegelung des letzten Lichtes – …

über das wie ein Opal schimmernde Meer zieht die Nacht die ersten schwarzen Schleier. Unwirklich leuchten große prächtige Sterne im Wasser, aber noch kein einziger am Himmel. Wo kommen sie her, die tröstlichen Lichter, die der Nacht ihren Schrecken nehmen?

Der silberne Trabant (3D) Licht im Wasser 2 (3D)

Acryl auf Holz, 70x70cm, Nr. 631 (2011)

Wir stehen vor kegelförmigen Bergen in einer irrealen kafkaesken Landschaft. Der Mond leuchtet über einer einsamen, menschenleeren Gegend. Die nächtliche Stimmung ist unheimlich, es herrschen Brauntöne und kühle Grünund Blautöne. Nur der Mond, eisige Flächen auf den Hügeln und das hell erleuchtete Wasser sorgen für Kontraste und ein wenig Helligkeit.

Acryl auf Holz, 100x100cm, Nr. 559 (2007)

Von hoher Warte ein Blick in die Ferne und zugleich in die Tiefe. Zweierlei Perspektiven und ein Farbenspiel in kalten Blautönen. Dazu kontrastieren die rosagoldenen Töne als spielende Lichter in Wasser und Himmel.

Leuchtendes Rund (3D)

Acryl auf Holz, 100x100cm, Nr. 583 (2008)

Ist es ein Wassertropfen, der im All schwebt
wie ein glänzendes Juwel? Verheißungsvoll,
geheimnisvoll, ein vollendetes Rund,
Ursprung des Lebens?

ALTERN UND VERGÄNGLICHKEIT

„Augenblick verweile doch, du bist so schön“

Mit dieser Beschwörungsformel möchte ich sie in Bildern festhalten, die erfüllten Augenblicke, die Momente des Glücks. Für mich ist dieses Heraufbeschwören von Vergangenem untrennbar verbunden mit Melancholie, mit dem Wissen um die Vergänglichkeit. Auf diesem dunklen Hintergrund aber leuchten die Erinnerungen umso mehr. Sie sind ja auch keine „Augenblicke“, die mit dem nächsten Lidschlag wieder verschwinden, sondern die Quintessenz dessen, was sich als ein besonders helles Erlebnis im Inneren eingenistet hat.

Gerade die ständigen Veränderungen in der Natur zu verschiedenen Tageszeiten oder Jahreszeiten – der ständige Wechsel von Licht und Schatten, das Farbenspiel und die bewegten Spiegelungen im Wasser – faszinieren nicht nur durch ihre bestürzende Schönheit, sondern führen zugleich das Werden und Vergehen drastisch vor Augen.

Man scheitert ja nicht nur beim Festhalten-Wollen eines besonderen Augenblicks, sondern schon beim sich Erinnern an ein bestimmtes Gefühl. Sogar ein Gemälde wird uns von Tag zu Tag ein wenig anders erscheinen. Denn wir selbst verändern uns ja von Tag zu Tag ein bisschen und sehen mit täglich anderen Augen, ohne uns dessen bewusst zu sein.

Die Sternenreuse 1 (3D) Die Sternenreuse 2 (3D)

Acryl auf Holz, 100x100cm, Nr. 565 (2007)

… Zwei Felsen, wie bestäubt von Ruß
Und steil und schmal wie eine Schleuse,
umstanden damals noch den Fluss.
Im Wasser hing die Sternenreuse.
… es schwamm der Algen grüner Wald,
ich fischte Gold und flößte Träume.

Acryl auf Holz, 100x70cm, Nr. 566 (2007)

Den Anstoß zu diesen beiden Bildern gab Peter Huchels gleichnamiges Gedicht. Huchel erinnert sich in diesen Versen an seine Knabenzeit, als er an einem tönenden, rauschenden Fluss lebte, an einem Ort, wo er ganz in seine eigene Welt versunken war. Wo im Netz, der Reuse, die Sterne schimmerten, zum Greifen nah, und wo er in schäumenden Strudeln das Gold der Gestirne mit den Händen schöpfte. Auf dem dunklen Wasser war er der Flößer seiner Träume und versunken in seine Welt, ohne ein Gefühl für Zeit oder gar Vergänglichkeit. Aber nun, Jahre später, erscheinen ihm die Kinderträume so fern und wandelbar wie das Licht des uralten Mondes.

Im Schimmer der Wellen 4 (3D)
Zu dieser Enkaustik wurde ich angeregt durch das Schubert-Lied „Auf dem Wasser zu singen“. Wie eine Nahaufnahme von bewegtem Wasser schimmert die matt glänzende Oberfläche aus Wachs mit dem eingeschmolzenen Gold- und Silberstaub vor den Augen und füllt das ganze Gesichtsfeld aus.

Wachs und Acryl auf Leinen, 110x180cm, Nr. 592 (2009)

 

Der Standhafte (3D) Von der Erde zum Himmel (3D)

Acryl auf Holz, 100x100cm, Nr. 604 (2009)

Da steht er, ein knorriger Baum. Er harrt schon lange hier aus, ist nicht mehr jung. Seine kahlen Äste zeugen davon. Aber die meisten grünen noch, und noch ragt er aufrecht in die durchsichtige Luft, wird gewärmt von friedlichem Licht und umspielt von sanften Wellen. Aber wo sind seine Wurzeln verankert? Wer weiß denn schon, ob er im Wasser steht oder noch fest in kräftiger Erde?

Acryl auf Holz 70x70cm, Nr. 635 (2011)

Ein riesiger Baum, übersät mit weißen Blüten durchzieht das ganze Bild und weist über den
Bildrand hinaus. Er ragt von der schrundigen dunklen Erde über das Blau des Meeres weit in den goldenen Himmel hinein. Die Erde wird verkörpert vom dunkelblauen Meer, das sich mit dem goldenen Himmel die Bildfläche teilt, und von einem schroffen, dunklen Berg. Seine schmalen
Grate säumt goldenes Himmelslicht, und in seinen Tälern und Schluchten liegen blaue und grüne Schatten. Ein Baum des Lebens mit grünem Stamm, der von der Gebundenheit an das Irdische und von der Verbindung zum Himmel spricht, vom Werden und Vergehen. Liegt hinter dem Gold des Himmels das Nirwana, das Nichts?

Rad der Zeit
(Dorle Wolf)Was ist,
wenn das Feuer der Blüten verbrennt,
wenn das Schöne und Wahre,
das Liebende, Einzige, Alternde stirbt,
überragendes auslöscht,
begeisterndes Können verweht?
Auf ewig sind sie dahin und verloren,
lassen nur Dunkel und Öde zurück
und Leere in uns.
Und doch – ein neues loderndes Strahlen,
kraftvoll und jung,
bricht auf wie die Knospe am Zweig.
Begeisterung weckt es
und Flammen entfacht es,
wärmt, den es berührt, mit innerem Licht.
Und so bleibt die Welt
im Wandel der Zeiten ein Raum,
drin zu leben sich lohnt.
Verblüht

Enkaustik auf Baumwolle, 40x30cm, Nr. 270 (1997)

Die sterbende Sonnenblume erinnert an einen alten Menschen. Der sensible „Strich“ des Spatels, die düsteren Farben, die hängenden Formen der Blätter und das Unbestimmte geben der Gestalt ihren Ausdruck.

Nixengrün und Entengrütze (3D)
Entstanden aus dem Huchel-Gedicht
„Der Knabenteich“: Ein Kind spielt am Teich
und spürt in der drückenden Mittagshitze
das Bedrohliche, das Unheimliche, das in
dem tiefen Wasser lauert: „Verzaubert ist
die Mittagshelle, das glasig grüne Algenlicht.
Der Knabe kennt die Wasserstelle,
die anders spiegelt sein Gesicht.“ Und dort
spritzt und plätschert immer noch der Nick,
der Wassermann, selbst heute noch für den
Erwachsenen, zu dem der Knabe wurde.
Die emotionale urtümliche Verbindung zu
seinen Knaben-Spielen und den Träumen
am Wasser ist in ihm, dem Mann, noch
lebendig, „weil noch sein Netz am Wasser
hängt“.

Wachs, Acryl und Pigmente auf Nessel, 70,5x41cm, Nr. 599 (2009)

 

Am Wasser zu singen (3D) Sonnengesang

Wachs, Acryl, Pigmente und Ölpastelle auf Leinen, 70,5x41cm, Nr. 598 (2009)

Ein Stück altes leinenes Tuch, wahrscheinlich ein Bügeltuch meiner Großmutter, das bis heute überdauert hat, länger als Mutter und Großmutter, ist die Basis für dieses Bild. Ich habe es nicht grundiert, die alten Falten nicht beseitigt, sondern es mit Wachsfarben betropft, mit Acrylfarben bemalt, mit dem Enkaustik-Eisen, der Heißluftpistole und dem Spachtel bearbeitet, an wenigen Stellen mit ein wenig Silberglanz versehen und in der Vorstellung gearbeitet, dass ich am Wasser sitze und die Welt sich sachte spiegelt, während ich in der Dämmerung an meine Mutter denke und leise ein Liedchen summe …

Wachs, Acryl und Pigmente auf Nessel, 70,5x41cm, Nr. 600 (2009)

In ihrem Gedicht „An die Sonne“ preist Ingeborg Bachmann die Sonne als schönstes Gestirn: „…zu weit Schönrem berufen als jedes andre Gestirn, weil dein und mein Leben jeden Tag an ihr hängt, ist die Sonne… Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein…“ Aber die Freude am Sonnengestirn verknüpft sich mit Trauer; der Gedanke an die eigene Vergänglichkeit wandelt die Hymne zur Klage: „…deinetwegen und bald endlos und wie um nichts sonst (werde ich) Klage führen über den unabwendbaren Verlust meiner Augen.“

 

Frühlingsflut und Schleiertanz Momente des Glücks (3D)

Acryl auf Holz 70x70cm, Nr. 632 (2011)

Acryl auf Holz mit 42 Momenten aus Papier, Stoff, Plastik oder Glas, 70x70cm, Nr. 642 (2012)

Momente des Glücks: Ein knorriger Baum, der alle vier Jahreszeiten in sich vereint. In ihn sind 42 Momente des Glücks eingefügt, kleine Bildchen in leuchtenden Acrylfarben, auch golden und silbern, auf Stoff, Papier, Plastik- oder Glasplättchen. Manche der Plättchen sind nach Art der Hinterglas-Malerei bemalt. Geht man an dem Bild vorbei, dann blinken die Glücksmomente kurz auf, sie glänzen und leuchten wie aus der Erinnerung wachgerufen. Aus einer Baumhöhle schaut eine Eule mit aufgesperrtem Schnabel – ein Jungvogel, und doch wie ein mahnend erhobener Zeigefinger, der an die Vergänglichkeit erinnert.

GEDANKEN ANDERER ZU DEN BILDERN

Liane Thau, Kunsthistorikerin (Kitzingen):
(Dorle Wolfs) „Bilder in 3D-Technik lassen uns in schier unendliche Räume eintauchen
[…] Ihre Kompositionen, die Farbe und Licht zu imaginären Räumen verbinden und von atmosphärischer Leichtigkeit bis zu kraftvollen Farbexpressionen
reichen, sind immer auch Seelenlandschaften; Seelenlandschaften, die mit ruhigen oder expressiven Strukturen, lichtdurchflutet oder verschattet, transparent oder geheimnisvoll, innere Welten widerspiegeln.“

Dr. Eva-Suzanne Bayer, Kunsthistorikerin (Würzburg):
„über das Gegenständliche führt kein Weg zu ihrer Kunst, auch wenn sie mit wunderschönen, poetischen Titeln Verständnisbrücken baut. Lassen Sie uns zunächst ihre Motive betrachten. Auf vielen Bildern ist nicht einmal der Anhauch eines Realitätsrelikts zu erkennen. Sie malt fast nie Menschen oder Gegenstände, sie malt gerade mal Anflüge von Landschaften. Aber sie malt eindeutig Atmosphäre, Stimmungen, das wandelbare Spiel von Farbnuancen in der Natur. Ich sage Natur, nicht Landschaft, obwohl sich einige Arbeiten auf Landschaften beziehen. Aber diese Landschaften sind alles andere als topographisch exakte Orte, sondern ein Konglomerat aus Innenschau und Außenschau, mit Gefühlen unterfütterte Eindrücke, Momente der Verwandlung, Sekundenwahrnehmungen. Dorle Wolf zeigt das Element Farbe pur und sie gibt seiner Unfassbarkeit Form und Gestalt. Wenn der Satz von Paul Klee „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ zutrifft, so trifft er hier.“

„Dorle Wolf sucht das Typische im Transitorischen, das Ewige im Zeitlichen. Und sie wählt die Farbe und nicht die Linie und die Form als Medium, das Schwierige zu fassen … Das Vokabular der Musik scheint mir als Einziges die “Kompositionen” von Dorle Wolf erreichen zu können. Ihre strahlende Instrumentation, ihre Farbklänge und Rhythmen stehen in Verbindung mit Urerlebnissen der Seele. In ihren Bildern zaubert sie ein glitzerndes, bewegliches Gefüge von dionysischer Festlichkeit und schreitet Empfindungsräume aus, die fern aller Ratio in uns selbst liegen.“

Dr. Franz Nagel, Kunsthistoriker (Jena):
„Aus der Abstraktion der Oberfläche entwickeln sich Bildräume, die Phänomene der Natur aufnehmen und darstellen…. Was wir wahrnehmen, ist zunächst die Komposition, die die Künstlerin auf der Bildfläche angelegt hat. Zugleich ist es aber auch die Intensität des Naturerlebnisses, das sie vermittelt. Diese Wahrnehmung ist keineswegs beschränkt auf das individuelle Erleben der Künstlerin, auch wenn jedes Bild auf einem persönlichen, als besonders und darstellenswert erachteten Wahrnehmungserlebnis basiert… Dorle Wolf vermag es in ihren Bildern, die Elemente in ihrer konkreten Wirkung auf Körper und Geist sichtbar werden zu lassen und zugleich auf ihren abstrakten Charakter zu verweisen“…

Dorle Wolf: VITA
1943 geboren in Sternberg bei Frankfurt/Oder
1963 Abitur am musischen Matthias-Grünewald-Gymnasium Würzburg
1965 Abschlussexamen als MTA
1971-94 Mitarbeiterin im Forschungsteam des Ehemannes Rainer
1992 die Malerei wird zur unabdingbaren Notwendigkeit
1994-98 Malunterricht bei Thomas Wachter (Würzburg),
Brigitte Miers (Würzburg) und Veronika Wagner (Berlin)
seit 1994 freiberufliche Malerin,
über 130 Ausstellungen im In- und Ausland

 

Die Inspiration zu ihren Bildern schöpft die Malerin aus der Natur, aber auch aus Dichtung und Musik. Oft verwendet sie ungewöhnliche Mittel wie Autolack, Bitumen oder flüssige Wachsfarben, bevorzugt aber Acrylfarben, die sie in vielen dünnen Lagen mit der Hand verreibt, so dass tiefere Farbschichten hindurchschimmern. So entstehen, abhängig von der Beleuchtung, schillernde Interferenzfarben. Von der Forschung in der Wahrnehmungspsychologie angeregt, gestaltet Dorle Wolf als erste deutsche Malerin viele Bilder so, dass sie räumliche Tiefe entfalten, wenn man sie durch eine 3D-Brille betrachtet. Farbflächen werden dann zu Farbräumen, die sich vor den Augen verändern, denn ihre Tiefe erschließt sich erst nach und nach.

Dorle Wolf ist Gründungsmitglied der Künstlergruppe WeibsBilder
(www.WeibsBilder-Art.de).

Kataloge: „der farbe leben“, „farb-räume“ (colour to the 3rd). www.Dorle-Wolf.de

 

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Autor: Dorle Wolf