Atheodoc
Das Internetportal für moderne Aufklärung
Eintrag vom 01.03.2013
Imamen-Ausbildung in Deutschland –
Eine spannende TV Diskussion
am 4. Februar 2013
Sollen in Deutschland Imame ausgebildet werden?
Abdullah Wagishauser,
ist der Gründer des ersten Ausbildungsinstituts für Imame in Riedstadt bei Frankfurt
Dr. theol. Paul Schulz
als Vertreter der deutschen säkularen Szene und definiert dazu drei Grundbedingungen.
in TIDE TV & Tide Radio 96,0. Hamburgs Bürgerkanal
Informativ, kontrovers, menschlich, fair.
Moderation: Sami Khokhar
Sehen Sie direkt
http://www.youtube.com/playlist?list=PLTug89AmDn5NmEPMDRAO7TMMQuALI5zjV
Fernsehaufzeichnung und Interviews
Die drei Grundbedingungen von Dr. Paul Schulz
Eintrag vom 11.02.2013
Zum Rücktritt des Papstes:
Unsere Kritik an Benedikt XVI.
… demonstrieren wir mit unserem Beitrag zur Kosmos-Ausstellung des Vatikan im Sommer 2012:
Galileo Galilei und die Pisa-Frechheit des Vatikan.
Wir zeigen, wie arglistig raffiniert der Vatikan den Galilei-Konflikt verdrängt, sich wissenschaftlich selbst ins allerbeste Licht verhebt, dabei die historischen Tatsachen verdreht, die Nichtwissenden verführt und die Wissenden dogmatisch strengstens vermahnt.
1]
Tagesschau vom 9. März 2012: Der Vatikan eröffnet in Pisa eine Ausstellung über die moderne Himmelsforschung. Thema der Ausstellung: Stories From The Other World – Geschichten von der anderen Welt. Zu Ehr´ und Ruhm der Vatikanischen Sternwarte.
Allein diese Meldung lässt alle Alarmglocken schrillen: Pisa ist die Geburtstadt von Galileo Galilei 1564. Was macht der Vatikan heute in Pisa mit Galilei, den sie damals wegen seiner Himmelsforschung und seinen revolutionierenden kosmischen Erkenntnissen unter Androhung irdischer Folter und aller Höllenqualen zum Widerruf seiner Vernunfterkenntnisse gezwungen und nahezu zu Tode gejagt haben. Wie stellen sie ihr damaliges Verbrechen gegen Galilei heute dar? Gibt es endlich einen Ehrenplatz in Pisa für den großen Galileo Galilei?
In der Voranzeige des vatikanischen Hausblattes L´OSSERVATORE ROMANO schreibt der heutige Direktor der Sternwarte, der Jesuitenpater Gabriel Funes, in seinem Leitartikel warmherzig von einer „zweifachen Zugehörigkeit – zur Welt der Kirche und zur Welt der Wissenschaft – als Gelegenheit, um den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden menschlichen Erfahrungsbereichen zu fördern, die nicht als untereinander im Gegensatz stehend betrachtet wurden, sondern bei der Suche nach dem tiefen Sinn der menschlichen Existenz zusammenarbeiten sollten“.
Anreiz genug, dieser Ankündigung auf den Grund zu gehen: Um 6.40 Uhr sitze ich in Hamburg im Flieger. Über München. 11.20 Uhr an Pisa. Kurz ins Hotel. 14.00 Uhr im Pallazo Blu an der Uferpromenade des Arno, in Rufweite zur berühmten kleinen Kirche Santa Maria della Spina, in der als Reliquie ein Dorn aus der Dornenkrone Jesu aufbewahrt und verehrt wird. Katholischer Reliquienkult und säkulare Wissenschaft – aber das ist ein anderes Thema.
2]
Während des Fluges ist Zeit genug, sich noch einmal die historische Situation um Galilei damals in Erinnerung zu rufen:
– Zunächst Giordano Bruno. Ihn haben sie am 17. Februar 1600 in Rom auf dem Campo de´ Fiori auf dem Scheiterhaufen verbrannt, einen Mann von geradezu quälender Wahrheitsliebe und Gottsuche im Umbruchdenken der Neuzeit. Er hatte als einer der ersten erkannt, dass der Weltraum unbegrenzt offen sein müsse. Als er schon brannte, hielt ihm der Priester höhnisch den Kruzifixus vors Gesicht mit der Aufforderung, er solle zur Errettung seines ewigen Seelenheils allem abschwören, was er mit seinem Verstand gedacht hat und sich zur Wahrheit der Kirche bekennen. Giordano hat mit letzter Kraft auf den gekreuzigten Christus gespuckt: In den Himmel dieser christlichen Henker wolle er nicht gerettet werden, nicht erlöst werden von einem Gott, der solche Menschen im Dienst hat.
– Dann Galileo Galilei. 1590 bis 1591 Professor für Mathematik an der UNI PISA. Er experimentiert in seiner Heimatstadt auf dem schiefen Turm von Pisa zu den Fallgesetzen. Reine experimentelle Vernunft. Empirische Wissenschaft.
Galilei ist in seinem Denken ein leidenschaftlicher Anhänger des neuen kopernikalischen Weltbildes. Kopernikus hatte bei seinem Studium in Bologna von Zweifeln an der mathematischen Richtigkeit des alten ptolemäischen Weltbildes gehört und hat seitdem gerechnet und gerechnet, 35 Jahre lang. Schon 1534, im 10. Band seines Werkes De Revolutionibus Orbium Coelestium kommt er zu dem Ergebnis, dass rein rechnerisch nicht die Erde, sondern nur die Sonne im Mittelpunkt des Kosmos stehen könne. Die Planeten drehen sich nicht um die Erde, sondern sie drehen sich um die Sonne, auch die Erde.
Kopernikus hatte mit seinen Berechnungen zwar die Abläufe im Kosmos neu definiert, aber er hatte damit nicht wirklich das alte ptolemäische Weltbild insgesamt außer Kraft gesetzt, jene Vorstellung also, dass der Himmel eine Kristallglocke sei, ein Firmament, an das die Sterne in festen Bahnen angeheftet seien. Wohl wirklich war Giordano Bruno mit der Erste, der dieses statische Firmament denkend durchbrochen hat. Zumindest wird ihm eine Zeichnung zugeschrieben, in der ein Mensch auf der Erde kniend mit seinem Kopf bis zu den Schultern durch das halbrunde Firmament stößt und mit erstaunt aufgerissenen Augen in einen völlig endlosen Weltraum sieht. Fast hört man ihn schreien: Es gibt keinen begrenzten Himmel. Das Weltall ist grenzenlos offen.
1610 entdeckt Galilei die Jupitermonde. Er sieht in seinem neuen Fernrohr drei kleinere Sterne um den Jupiter herum. Nächte später sieht er plötzlich nur noch zwei, nachts drauf nur einen. Wo sind sie geblieben? Kurz darauf sind wieder alle drei Sterne da und Galileo entdeckt sogar einen vierten.
Es gibt für ihn nur eine einzige logische Erklärung: Die Sterne sind hinter dem Jupiter verschwunden und wieder aufgetaucht. Sie umkreisen den Jupiter als Monde. Das kann nur bedeuten: Die Sterne sind nicht an einem kristallenen Firmament fest angeheftet. Sie können sich in die Tiefe des Kosmos hineinbewegen. Giordano Bruno hatte Recht: Der Himmel ist grenzenlos offen. Eine himmlische Sensation. Der Beginn der modernen säkularen Astronomie. Galilei widmet seinem Mäzen, dem Medici-Großherzog von Florenz und der Toskana die medicianischen Gestirne.
3]
Galilei gerät dabei schnell in Konflikt mit der römischen Inquisition. Zwar ist ihm Kardinal Barberini, der spätere Papst Urban VIII, gewogen. Doch in der Kurie selbst hat die Meute der Fundamentalisten das Sagen. Hat Kopernikus, hat Bruno, hat Galilei Recht? Lügt Gott in seinem ureigensten Wort, in der Bibel? Die Orthodoxen verklagen Galilei vor der Inquisition. Der Prozess gegen Galilei ist ein reiner Ketzerprozess. Galilei, der anerkannte Professor, wird gefangen gesetzt, zum Widerruf aufgefordert. Er weiß um das Ende von Giordano Bruno. Galileo wehrt sich verzweifelt, aber er ist kein Held. Für das, was jeder mit seinen eigenen Augen sehen und erkennen kann, dafür muss ich nicht sterben. Unter schärfsten Gewaltandrohungen widerruft Galilei vor der Inquisition am 22. Juni 1633 seine neuen Erkenntnisse von der Bewegung der Erde um die Sonne. Er schwört, … stets geglaubt zu haben und in Zukunft mit Gottes Hilfe alles das glauben zu wollen, was die katholische und apostolische Kirche für wahr hält, predigt und lehrt …
Galilei überlebt mit dem Zweifel, ja, mit der Verzweiflung, dass er nicht bis zum Letzten, bis zum Tod, gekämpft hat. Aber in seinem Widerruf allein liegt seine Verschonung überhaupt gar nicht. Angesichts der Verselbstständigung der europäischen Staaten (Westfälischer Frieden 1648) und der heraufkommenden Aufklärung in England (republikanische Regierungszeit Oliver Cromwells Mitte des 17. Jahrhunderts) kann sich der Vatikan mit ihm ein zweites Autodafé im Stile Giordano Brunos in Rom nicht mehr ohne weiteres leisten. Der Augenblick ist nahe, wo der weltliche Staat die selbstherrliche Kirche entmachtet und ihr das Recht aus der Hand nimmt, Menschen anderen Glaubens und anderer Weltanschauung umzubringen.
Dennoch endet der Prozess durch Galileis Widerruf mit der Siegerpose der Kurie und die als eindeutig drohende Hoheitsgebärde der römisch-katholischen Inquisition. Galilei wird den Rest seines Lebens unter Hausarrest gehalten, in seinen Kontakten abgeschottet und in seinen schriftlichen Arbeiten streng kontrolliert. Er stirbt als gebrochener Mann. Das Urteil gegen Galilei zeigt europaweit Wirkung. Die Naturwissenschaftler ziehen sich zunehmend aus dem päpstlich-katholischen Süden zurück in den protestantisch freieren Norden, nach Holland, England, Skandinavien, Deutschland. Die römische Kurie verfällt immer isolierter in die starre Rolle des Rechtbehaltens, egal, was passiert. So kämpft sie gegen alles Neue der aufbrechenden modernen Zeit und Welt.
1992 spricht der Papst Galileo Galilei frei, er rehabilitiert ihn – nach über 350 Jahren! Diese Institution, die seit 350 Jahren mit diesem Mann alle Wirklichkeit gegen sich hat, die dennoch dagegen Jahrhunderte lang ihre falschen Wahrheiten durchgehalten hat und in unzähligen anderen Positionen bis heute weiterhin durchhält, die spricht frei? Die rehabilitiert? Die spielt sich immer noch auf als die bindende und lösende Instanz? Die maßt sich an, Belobigungen erteilen zu dürfen, die sich selber unentschuldbar schuldig gemacht hat an Körper, Geist und Seele ihrer Opfer? Die verkauft ihre gestrigen Gräueltaten heute im Nachhinein als hochherzige Heilswerke?
Und jetzt die Ausstellung Stories From The Other World in Pisa zu Ehr und Ruhm der vatikanischen Sternwarte Roms!
4]
Die Ausstellung in Pisa ist wissenschaftlich, logistisch und didaktisch hervorragend gemacht. Sie basiert uneingeschränkt in allen dargestellten Bereichen auf den modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen. In einem spannenden Großwandvideo stellt sie den Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren dar und zeigt wie sich daraus Teilchen, Atome, Elemente und schließlich die ersten Sterne entwickeln. Toll gemacht. Sie zeigt in großen wunderschönen Aufnahmen unterschiedliche Typen von Galaxien, haarscharfe Bilder von Gestirnen, zu denen man rüberwinken möchte. Sie erklärt die Explosion einer Supernova, in der neue Gestirne entstehen, sie erklärt den Zusammenbruch von Sonnensystemen als Rote Riesen und schließlich als Weiße Zwerge und Braune Gesteinsrestmasse. Sie zeigt die Position unseres Sonnensystems in unserer Heimatgalaxie Milchstraße – aha, da sind wir! – in einem unfassbar unendlich expandierenden Raum. Dazu präsentiert sie ein altes riesige Handfernrohr, ein 10,7 cm Merz, ein Urtyp der frühen makrokosmischen Forschung.
Die Ausstellung zeigt gleichbedeutend mikrokosmische Prozesse, die wichtigsten chemischen und physikalischen Entdeckungen der Neuzeit: Das Atom in seinem formal inneren Aufbau und in seinem molekularen Zusammenbau zu Elementen, dazu ein sehr anschauliches Periodensystem der Elemente und direkt daneben eine Skala der prozentualen Stoffmengen, aus denen der Mensch zusammengesetzt ist. Dazu Tafeln und Bilder biogenetischer Zusammenhänge: Chromosomen. Doppelhelix. DNA. Einprägsame Schaubilder.
Schließlich faszinierende Aufnahmen aus der CERN-Anlage in der Schweiz, wo seit Jahrzehnten mit modernster Methodik nach dem kleinsten Materieteilchen geforscht wird. Riesige Maschinen zur Erzeugung von Höchstgeschwindigkeit auf einer Strecke von fast 27 Kilometern. Schwarze- Löcher- Bedingungen. Urknallsimulation. Dieses Jahr sollen die Higgs-Bosons entdeckt werden – wenn es sie denn gibt, die kleinsten Teilchen. Letzte Meldung: Das Partikel kommt offenbar am Ende der Bahn um eine Milliardenstel Sekunde schneller an als das Licht. Das würde bedeuten: Es gibt eine Geschwindigkeit schneller als die Lichtgeschwindigkeit: Das wäre eine die Physik revolutionierende Sensation.
Ein uneingeschränktes Lob für diese wissenschaftliche Präsentation, für die gesamte Ausstellung. Aufgebaut nach strengsten Regel rein wissenschaftlicher Faktizität, in allem ohne einen einzigen religiösen Bezug. Die Welt in lupenreiner Naturwissenschaft, als holistisches Prinzip. Unser Sein als ganzheitlich immanente Einheit.
Verantwortlich dafür sind in Zusammenarbeit drei Institute:
1. das Nationale Institut für Nuklearphysik Italiens,
2. die Abteilung für Physik der Universität Pisa,
3. die Vatikanische Sternwarte.
Chapeau für die wissenschaftlichen Macher der Ausstellung.
5]
Wo nun genau liegt der Skandal von Pisa?
Zum einen: Der Galilei-Konflikt wird völlig verschwiegen. Auf Galilei wird nur zweimal ganz kurz hingewiesen, als Geburtsdatum in einer Ereignischronologie und mit einer Originalausgabe eines seiner Frühwerke inmitten ähnlicher Schriften anderer Forscher der Renaissancezeit. Ansonsten findet Galilei in dieser Ausstellung, in seiner Heimatstadt Pisa, nicht statt.
In Solidarität mit Galilei hat man dadurch zwangsläufig den Eindruck, dieser Mann würde hier ganz bewusst verschwiegen, so als hätte er, der erste große Wissenschaftler Europas, überhaupt gar nichts mit der Naturwissenschaft, speziell mit der Astronomie, zu tun. Es ist schon seltsam, dass ein Mann, der die geistigen Voraussetzungen für diese Ausstellung geschaffen hat, derart ignoriert wird. Dass er existiert hat, kann man nicht leugnen. Was er geleistet hat, muss man offenbar schlicht unterdrücken, denn:
Die Vatikanische Sternwarte ist eine der ältesten Sternwarten der Welt, um 1581 gegründet in der ursächlichen Aufgabe, die sich jährlich ändernden Ostertermine zu bestimmen, die abhängig sind von der jeweiligen Position des Mondes. Mögen die Astronomen dort auch alle Ostertermine immer richtig bestimmt haben, gegenüber Galilei haben sie sich entsetzlich blamiert, denn er hat zumindest in der zentralen Frage – geo- oder heliozentrisches Weltsystem – eindeutig Recht behalten Oder haben die Wissenschaftler dort es schon immer besser gewusst und haben auf höhere Anweisung hin nicht die Wahrheit sagen dürfen? Immerhin steht das Institut damals wie heute in direkter Abhängigkeit vom Heiligen Stuhl, also vom Papst selbst. Müssen sie sich heute rehabilitierten, ohne Galilei respektvoll benennen zu dürfen?
Zum zweiten: Der alte Konflikt mit Galilei ist voll gegenwärtig. Er ist nur raffiniert verschoben. Man muss sich schon ziemlich lange in der Ausstellung aufhalten, um das untergründig verschobene Strategiekonzept der Gesamt-Ausstellung aufzuspüren. Dem schnellen Besucher mag sich das überhaupt gar nicht erschließen, es dringt ihm nicht voll ins Bewusstsein. Es wirkt eher undercover.
Der Konflikt wird verschoben in die Jahre ab 1904. In den Mittelpunkt rückt dabei der Kardinal Pietro Maffi, der 1910 bis 1939 Erzbischof von Pisa war. Nicht Galilei, nein, dem Herrn Kardinal ist in Palazzo Blu neben der Ausstellung ein eigener repräsentativer Saal gewidmet. In ihm hängt er an der Thronseite als riesiges gold gerahmtes Portrait in prachtvoller Kardinalsrobe, die Repräsentanz der geballten katholischen Autorität.
Auf drei großen Tafeln werden die zahlreichen kirchlichen Verdienste des Kardinals dargestellt, insbesondere auch seine große Bedeutung für die Entwicklung der vatikanischen Sternwarte. Dabei erscheint Maffi als genialer Wechselgänger zwischen den Welten. Als solcher wird er in höchsten Tönen bejubelt. So wird an Maffi seine offenbar großartige vatikanische Weltoffenheit demonstriert, sein Weltverständnis, seine Weltzuwendung.
An Maffi wird dem Besucher der weite, umfassende Geist der katholischen Moderne zelebriert. Demnach soll die Kirche schon immer ein Förderer der Naturwissenschaften, der weltlichen Erkenntnisse, der kritischen Vernunft gewesen sein. Man muss den Eindruck haben, dass die Kirche die Menschen ständig und immer erneut bedrängt hat, die Naturwissenschaften voranzutreiben. Die säkulare Welt hat auf dieses Drängen offenbar nur widerwillig reagiert und ist dem nur völlig lustlos gefolgt. Die Kirche hat diesen Widerwillen nie richtig akzeptieren mögen, hat immer wieder ermunternd Beistand geleistet zu neuen Forschungen und Erkenntnissen. Zum Beispiel mit der vatikanischen Sternwarte.
6]
Die präsentierte Maffi-Story ist fast makaber. Sie wird hier zur Pisa-Ausstellung in einem Licht aufgeblendet, das die Historie schlicht verfälscht. Dabei werden gerade jene Tatsachen unterschlagen, die das Handeln der Kirche auf die Welt hin in böser Absicht erscheinen lassen. Gerade auf diese Tatsachen aber kommt es wesentlich an:
1910 verkündete Papst Pius X den ANTIMODERNISTENEID. In diesem Glaubenseid müssen alle Priester, Bischöfe, Theologieprofessoren und alle Personen, die in ihrer Lehrtätigkeit in irgendeiner Verpflichtung gegenüber der katholischen Kirche stehen, bekennen, dass … ich nichts zu schaffen habe mit dem Irrtum, der die Modernisten glauben lässt, die heilige Überlieferung enthalte nichts Göttliches, oder, was noch schlimmer ist, der sie zu einer pantheistischen (=atheistischen) Deutung der Überlieferung führt, so dass nichts übrig bleibt als die nackte, einfache Tatsache … Modernismus bezeichnet dabei gemäß einer langen päpstlichen Irrtumsliste die zentralen modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Dieser Antimodernisteneid besteht über 100 Jahre und wurde 1968 als CREDO DES GOTTESV0LKES mit gleicher Intention für die Gegenwart novelliert.
Zur damaligen Zeit standen der Papst und die katholische Kirche generell unter starkem Druck. Die Kirche selbst spricht von offenem anticlericalismo, also von kirchenfeindlichen Zuständen. Starke gesellschaftliche Spannungen, nicht nur politisch und sozial, auch naturwissenschaftlich: Das mechanistische Weltbild des 19. Jahrhunderts zerbrach damals durch die Quantenmechanik von Max Planck und durch die Relativitätstheorie von Albert Einstein. Der Papst befürchtete von daher eine neue elementare Bedrohung der kirchlichen Dogmen und formulierte dagegen den Antimodernisteneid, das Verbot einer von der Kirche unkontrollierten naturwissenschaftlichen Forschung. Das betraf natürlich auch die päpstliche Sternwarte in Rom.
Kardinal Maffi ist willfähriger Papstgefolgsmann. Die Sternwarte wird zu seiner Mission. Sein Auftrag ist, speziell auch befürchtete wissenschaftliche Umbrüche der hauseigenen Sternwarte zu stoppen und so die katholische Dogmatik zu schützen. Als neuem Erzbischof gelingt es Maffi, den Jesuitenpater Johann G. Hagen, einen standhaften Glaubenssoldaten, als Leiter der Sternwarte zu gewinnen. Er ist der Gewährsmann dafür, dass sich die Sternwarte in ihrer wissenschaftlichen Arbeit dem Antimodernisteneid unterordnet. 1935 wird die Sternwarte insgesamt der scharfen Aufsicht des Jesuitenordens unterstellt. Das Ziel des Vatikans ist damit erreicht, die Sternwarte fest im kirchlichen Griff. Von dort droht dem katholischen Glauben keine Gefahr mehr. Die Inquisition hat im gleichen Geist gesiegt wie einst über Galileo Galilei.
Dieser Maffi und damit die Inquisition, nicht etwa Galilei, hängen heute im Prunksaal direkt neben der Astronomie-Ausstellung. Vielmehr ist mit diesem Maffi von der Kurie der alte Geist gegen Galilei voll in den Mittelpunkt der heutigen wissenschaftlichen Pisa-Ausstellung gerückt worden. Nennen wir diese gezielte Demonstration einmal die Maffi-Methode. Sie hat ihre direkte Auswirkung auf die vatikanische Pisa-Ausstellung im Jahr 2012.
7]
Am Ende der Pisa-Ausstellung steht direkt vor der Ausgangstür in riesigen Lettern die Inschrift:
Noi siamo come degli alberi piantati al contrario
le nostre radici non sono sulla Terra ma nel Cielo
Platone
Wir sind wie Bäume umgekehrt eingepflanzt:
Unsere Wurzeln sind nicht in der Erde sondern im Himmel!
Platon
Keiner kann sich an dieser Inschrift vorbeidrücken, jeder Besucher muss sie lesen. Sie versetzt den Leser unter den Eindruck, dass ihm gleichsam im letzten Augenblick die Quintessenz, die letztgültige Bewertung dieser Ausstellung, nicht von den Ausstellern, sondern von der katholischen Kirche, deutlich mit auf den Weg gegeben wird.
Dieses Platon-Zitat am Ende der Ausstellung stellt den gesamten positiven Eindruck dieser naturwissenschaftlichen Ausstellung auf den Kopf. Man sieht regelrecht den alten Platon pöbelnd die Ausstellung verlassen. Sein Urteil – philosophisch-religiös – steht fest:
– Was du da eben gesehen und bestaunt hast, ist nicht die wesentliche Welt. Das ist nicht die Ursubstanz, denn davon hängt das menschliche Sein nicht ab. Die naturwissenschaftliche Welt ist nichts als eine Schattenwelt.
– Was du nicht gesehen hast, das ist das Wesentliche, der göttliche Himmel. Alle essentiellen Werte sind in ganz anderen Zusammenhängen begründet, liegen im Jenseits. Sie leiten sich dem menschlichen Verstand nur unsichtbar ab als die ursächlichen Gründe im Transzendenten.
Wie Platon in seinem berühmten Höhlengleichnis beschreibt, so definiert er auch in diesem Diktum den Kern seiner transzendenten Philosophie: Die wahre Welt ist die Welt der Ideen jenseits unserer diesseitigen Welt. Nur die Welt der jenseitigen Ideen bedeutet das wahre ewige Sein. Der Mensch muss das Diesseitige zurücklassen und mit seiner Vernunft nach dem Transzendenten streben, um das wahrhafte Leben in der wahren Welt dort zu erlangen.
8]
Erst mit diesem Platon-Zitat vor Augen fällt mir die Verdrehtheit des Titels der Pisa-Ausstellung auf: Stories From The Other World. The other world – die andere Welt, das meint uns! Uns, die wir hier auf Erden leben! Die Schattenwelt, das meint unsere Welt der Realität, meint unsere diesseitige Wirklichkeit.
Ich stehe als Besucher der säkularen Kosmosausstellung vor dem Platon-Schild und mir wird zum Schluss nahezu überfallartig apodiktisch eingeredet: Das alles ist in Wirklichkeit nichts. Die ganzen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, einzeln oder insgesamt, haben keinen essentiellen Wert. Das diesseitige Dasein ist nichts als reine Schattenwelt. Das eigentliche Sein ist die jenseitige Welt.
Mathematisch gesprochen: Das Platon-Zitat macht um die gesamte wissenschaftliche Pisa-Ausstellung mit all ihren großartigen Darlegungen der weltlichen Erkenntnisse eine Klammer und setzt vor die Klammer ein Minuszeichen. Das bedeutet, dass alles was in der Klammer steht, auf minus gesetzt ist. Die Erde und das ganze Diesseits ist nichts: Le nostre radici … nel cielo – unsere Wurzeln stecken im Himmel. So eine Art Baselitz-Syndrom: Kopf auf der Erde – Füße im Himmel.
9]
Die Botschaft daraus für alle Wissenden heißt unmissverständlich: Auch heute noch hat der Antimodernisteneid uneingeschränkte Gültigkeit. Allen diesseitigen Erkenntnissen, allem naturwissenschaftlichen Wissen ist vorauszusetzen die jenseitige Welt als das wirkliche Sein. Die Inquisition aus dem Thronsaal nebenan ist fast körperlich spürbar. Sie sitzt nebenan und hat das Geschehen voll und fest im Blick. Maffi watches you.
Allerdings doch mit einer wesentlichen erkenntnistheoretischen Änderung:
– Damals gegen Galilei und seine Kollegen kämpfte die Kirche mit Aristoteles gegen jede einzelne neue Naturerkenntnis und versuchte mit den alten Naturdefinitionen des Aristoteles die neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gleichsam Stück für Stück aus den Angeln zu heben. Das bedeutete in jedem einzelnen Fall eine Jagd auf wissenschaftliche Details wie im Falle Galileis: Darf man sich wirkliche vorstellen, dass es Sterne gibt, die nicht um die Erde kreisen? Kann man ernsthaft annehmen, dass die Gestirne ohne Kristallschalen frei im Kosmos schweben und nicht in den Weltraum fallen? Die Inquisition damals stellte tausend Detailfragen zum Einzelfakt.
– Heute kämpft die Kirche mit Platon ums Ganze. Naturwissenschaftliche Einzelheiten werden von ihr kaum mehr in Frage gestellt. Im Gegenteil. Sie akzeptiert die weltlichen Erkenntnisse, ja, sie argumentiert sogar locker und wie selbstverständlich mit ihnen. Sie toleriert sogar eine Ausstellung des gesamten säkularen Weltbildes mit allen Details. Pisa ist das beste Beispiel dafür.
Doch dann beruft sie sich auf Platon. Sie macht die mathematische Klammer auf, stellt alle Positionen der Ausstellung hinein, macht die Klammer zu und setzt ein platonisches Minuszeichen davor. Sie verdammt mit Platon die gesamten wissenschaftlichen Erkenntnisse in summa. Sie erklärt die gesamte Immanenz als letztlich unwichtig. Es zählt ausschließlich ihr Himmel, die Transzendenz, Gott.
Auch heute darf allein mit diesem Glaubensbekenntnis im Herzen und im Kopf Naturwissenschaft betrieben werden, darf eine weltliche Ausstellung gemacht und betrachtet werden. Das ist exakt b: Es ist exakt das Ziel des Antimodernisteneids, der beginnt wie Galileis Abschwurformel: Ich schwöre und nehme alles an, was vom irrtumslosen Lehramt der Kirche bestimmt, aufgestellt und erklärt ist, besonders die Hauptstücke ihrer Lehre, die unmittelbar den Irrtümern der Gegenwart entgegen stehen …
10]
Die katholische Kirche hat sich im Dogma selbst überhaupt nicht verändert. Papst Benedikt XVI mit seinen römischen Kohorten ist genauso brutal wie Kardinal Karl Ratzinger war, der über 25 Jahre mit unerbittlicher Härte die kuriale Inquisitionsbehörde angeführt hat. Ratzinger, der oberste Inquisitor, der jetzt im weißen Gewand so tut, als könne er mit seinen erhobenen Händen kein Wässerchen trüben, steht für absolute dogmatische Härte ohne Diskussion.
Mit ihm gilt das Dogma auch heute ohne jeden konkreten Evidenzbeweis allein als apodiktische Behauptung. Das Dogma akzeptiert keine Gegenrede der weltlichen Vernunft und Wissenschaft, weder im Einzelnen, noch im Gesamten. Das Dogma bestraft jede Widerrede mit Verdammnis zur religiösen Höchststrafe, zum Verlust des ewigen Seelenheils. Nicht die Vernunft, nicht die Realität, nicht die demokratische Mehrheit der denkenden Menschen, allein die päpstliche Autorität gilt gottgleich als letzte Autorität.
Das wurde schon gleich damals nach Amtsantritt Benedikt XVI sichtbar auf dem Weltjugendtreffen 2005 in Köln. Jovial trat er in seinem weißen Gewand auf, breitet verbindlich die Arme aus: Seid umschlungen Millionen. Dann verkündigte er den jungen Menschen knallhart das Verbot der Kondome im Namen Gottes. Er machte auch da kompromisslos ein Minuszeichen vor die Klammer, in der alle weltlichen Argumente zusammengestellt waren und sind, die für eine Geburtenkontrolle sprechen, ja, die die Kondome medizinisch und Bevölkerungstechnisch unabdingbar nötig machen. Kein einziges dieser menschlichen, menschheitsgeschichtlichen Probleme hat ihn bewegt, ist von ihm auch nur im Ansatz abgehandelt worden. Ihm galt und gilt ausschließlich das Gebot Gottes, oder besser das, was er und seine Hinterwelt für Gott deklarieren.
11]
Doch nur selten kommt der Vatikan so dramatisch aus der Deckung. Viel lieber und deshalb fast immer setzt die Kirche auf die verdeckte Maffi-Methode, die in Pisa undercover mustergültig vorgeführt wird: Die Kirche nutzt das Vergessen der säkularen Welt, denn natürlich wissen die meisten Menschen schnell nicht mehr, was eigentlich wirklich gewesen ist und prüfen es ganz selten nach. Also muss die Kirchen die Vergangenheit auch nicht so veröffentlichen, wie sie wirklich war. Man muss doch all die alten Schandtaten nicht wieder aufrühren. Ein ganz grässliches Beispiel dafür sind die priesterlichen Kinderschändungen. Nicht allein die Schandtaten als solche, sondern gerade auch das Verhalten des Papstes und seiner bischöflichen Dienerschaft, die Tatsachen gegen die Wirklichkeit möglichst zu vertuschen.
Mit dieser Maffi-Methode macht sich die katholische Kirche heute immer wieder in der modernen Welt gesellschaftsfähig. Sie erzählt Geschichte so, wie sie der Kirche nützlich ist. Die Kirche stellt ihre Vergangenheit deshalb so vor, dass ihre Handlungen für die moderne Gesellschaft immer nur positive Leistungen zeigen. Sie präsentieren sich, als sei sie schon immer der eigentliche Wegbereiter und Förderer unserer modernen säkularen Gesellschaft gewesen.
Sie arbeitet dabei gezielt mit Falschaussagen. Eine Falschaussage ist, wenn man Tatsachen richtig weiß und sie anders darstellt, sie beschönigt oder gar ins Gegenteil verdreht. Dafür zwei Beispiele:
Beispiel 1: Katholische (und auch evangelische) Theologen und Kirchemänner behaupten immer wieder, dass die moderne Demokratie aus dem christlichen Staatsmodell entstanden sei. Deshalb sei der säkulare Staat fest in die christlich-abendländische Tradition einzubinden.
Das ist eine bewusste historische Falschaussage. Nie und nirgends haben sich die Kirchen bis weit ins letzte Jahrhundert hinein je für Demokratie eingesetzt. Ihr Herrschaftssystem war immer das monarchistische Prinzip, schon weil ihr Gott selbst rein monarchistisch ist. Ein demokratischer Gott wäre ein Absurdum in sich. So sind auch Gottes Machthaber immer von oben, von Gottes Gnaden gesetzt, prinzipiell nie vom Volk. Entstanden ist dagegen die Demokratie in der altgriechischen Antike, hat sich nach langen christlichen Zeiten in der Neuzeit endlich als säkularer Staat durchgesetzt und hat den aggressiv-monarchistischen Herrschaftswillen auch der Kirchen der Demokratie als weltlicher Obrigkeit untergeordnet. Noch heute ist der Vatikan-Staat der einzige monarchistische Staat in Europa und deshalb von Europas Demokratien nicht in die EU aufgenommen.
Beispiel 2: Katholische (und auch evangelische) Theologe und Kirchenmänner behaupten immer wieder, dass die modernen säkularen Grund- und Menschenrechte aus dem Geist des Christentums und mit Wollen der Kirchen entstanden sind.
Das ist eine bewusste historische Falschaussage. Die Grund- und Menschenrechte leiten das Recht des Menschen vom Menschen her, nicht von oben, von Gott her ab. Sie sind Ethik ohne Gott, reines Menschenrecht. Alles christliche Recht ist Gottesrecht, leitet sich wie die biblischen zehn Gebote aus göttlicher Autorität ab. Aus diesem Grund hat die Kirche immer die weltlichen Erklärungen der Menschenrechte bekämpft, so weit sie Gott nicht als letzte Instanz gesetzt haben. Das betrifft die Menschenrechtserklärung der französischen Revolution 1792, wie die der UNO von 1949 und auch die EU-Charta in ihrer Originalfassung. 2007. Gerade der deutsche Staat hat als Kirchenlobbyist gedroht, die EU-Charta nicht anzuerkennen, wenn nicht im letzten Augenblick zumindest in der Präambel ein Gottesbezug eingebaut wird.
Das war wieder eine Maffi-Aktion, vor die rein weltlich-demokratische EU-Charta eine Klammer zu setzen und davor ein Minuszeichen, das nicht nur auf Gott verweist, sondern insgesamt das ursächliche Menschenrecht im letzten Augenblick ins Gottesrecht verdreht: Nur wenn die Wurzel im Himmel gepflanzt sind! Die Kirche hat mit ihren Maffis immer noch direkten Einfluss auf die säkulare weltliche Demokratie und kämpft darum – wie auch in Pisa – selbst mit verfälschenden Mitteln.
Gerade diese Verfälschungen aber decken die wahren Tatsachen der Kirchengeschichte und die immer noch gültigen Grundpositionen der Dogmengeschichte auf: Die christliche Religion, allzumal die katholische Dogmentheologie war und ist schon immer und grundsätzlich mit den Prinzipien des säkularen Staates und der säkularen Gesellschaft nicht kompatibel,
● nicht mit dem naturwissenschaftlichen Vernunftdenken im Sinne von Galileo Galilei;
● nicht mit dem Verständnis der Realität als einer holistischen Welt gegen allen Seinsdualismus;
● nicht mit der Selbstbestimmung des säkularen Staates ohne Gott und Religion;
● nicht mit den Grund- und Menschenrechte als allein von Menschen gesetzt und verantwortet;
● nicht mit der Autonomie des Ich-Individuums und seiner persönlichen Freiheit auch im Tod.
12]
Dennoch schleichen sich Religionen und Konfessionen und deren kirchliche Amtsinstitutionen überall ein wie ein bitter-süßes Gift. Sie sitzen mitten in unserer säkularen Gesellschaft und haben unmittelbaren Proporzeinfluss auf unseren säkularen Staat. Sie halten unerbittlich fest an ihrer Hinterwelt. Sie agieren in ihrem Ziel absolut konträr zur säkularen Gesellschaft. Sie versuchen von daher immer erneut, die säkulare Gesellschaft zu verunsichern, das säkulare Bewusstsein zu relativieren, ja, zu erschüttern und zu zerstören.
Als zentrales Beispiel nehmen wir die Ausbildung der Kinder und Jugendlichen, die der Staat verfassungsgemäß generell glaubensneutral zu gewährleisten hat und konkret durchführen muss,
– in den säkularen KITAS besonders überall da, wo christliche Träger die Betreuung übernommen haben. Natürlich werden den „Kleinen“ biblische Geschichten erzählt. Ganz einfach, plastisch, fröhlich. Die Kinder finden das toll, es geht ihnen ein wie Märchen. Natürlich werden auch fröhlich fromme Lieder gesungen, wird gebetet. Viele Eltern finden das nicht so schlimm. Sie glauben das ja selbst nicht, aber schaden kann es ja auch nicht. Andere Eltern finden das schlimm. Sie leben zuhause mit ihren Kindern bewusst als religionsfreie Familie. Sie sehen im religiösen Programm der Kita einen massiven Widerspruch und damit einen Schaden für ihr Kind. Sie berufen sich in ihrem Recht auf einen staatlich garantierten Kita-Platz zugleich auf eine vom Staat zu garantierende säkulare Erziehung. Pisa mitten in der staatliche Kita: Spaltende Familienpolitik in unserer säkularen Demokratie.
– in den unteren Klassen der säkularen Schulen überall da, wo neben dem Fachunterricht in Biologie und Naturkunde auch Religion als Glaubenslehre unterrichtet wird: Die Schüler haben in Biologie in der vorausgehenden Unterrichtsstunde über den Urknall gesprochen und den Ablauf der Evolution. In der nachfolgenden Stunde unterrichtet eine Lehrerin im Fach Religion über die biblische Schöpfungsgeschichte, erzählt begeistert, wie der liebe Gott den Menschen aus Lehm gemacht hat. In der Klasse Unruhe. Ein Mädchen greift ein. Sie glaube das, was der Lehrer über Urknall und Evolution erzählt hat. Die Lehrerin ist schockiert, fühlt sich persönlich angegriffen. Sie findet es schlimm, dass das Mädchen ohne Glauben ist. Als das Mädchen widerspricht, fängt die Lehrerin an zu weinen, verteidigt ihren eigenen Glauben, läuft aus der Klasse zum Schulleiter und beschwert sich über die aufsässige Schülerin. Die Eltern greifen ein. Schwierige Gespräche folgen. Pisa inmitten der staatlichen Schule. Spaltende Schulpolitik in unserer säkularen Demokratie.
– in den säkularen Schuloberstufen überall da, wo junge Menschen ernsthaft ihr reales Verständnis von Wirklichkeit behauptet: Heiße Debatten im Leistungskurs um Darwins Abstammungslehre. Ein junger gläubiger Christ greift mit fundamental-biblischen Thesen Darwin an. Ein Mitschüler, erklärter Atheist, widerspricht aggressiv. Es kommt gegenseitig zu heftigen Beleidigungen. Der christliche Schüler sucht Unterstützung bei seinen Eltern und der Kirche. Die sprechen von Blasphemie und Gotteslästerung. Sie mobilisieren einen Teil der Lehrerschaft und eine ziemliche Zahl von Eltern. Gemeinsam fordern sie den Verweis des atheistischen Schülers, weil er mit seinen gottlosen Thesen den christlichen Geist der Schule verletzt hat. Der Verweis zielt bewusst auf Verhinderung des Abiturs des jungen Mannes. Anwälte werden eingeschaltet, der Verbleib des jungen Mannes nur unter größten Mühen erzwungen. Dabei wird der Schüler zum Außenseiter der Schulgemeinschaft und ihres sozialen Umfeldes. Pisa inmitten einer demokratischen Gemeinschaft. Spaltende Gesellschaftspolitik in unserer säkularen Demokratie.
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Unser säkularer Staat verfehlt damit vollkommen seinen Auftrag, den Menschen rationale Bildung zu vermitteln, ohne ihn dabei ständige mit irrationale Irritationen und religiösen Verfälschungen zu verunsichern oder gar Schaden zuzufügen. Unser Staat selbst öffnet der Maffi-Methode Tor und Tür. Gibt man aber einem die Möglichkeit, kann man sie anderen nicht verweigern, auch nicht dem Islam oder nachfolgenden Religionen, welchen auch immer. Nur ein radikaler säkularer Schnitt schafft staatlich Klarheit und Rechtssicherheit. Die drei gerade aufgeführten Beispiele zeigen das besonders an den jungen Menschen, die in unsere Gesellschaft hineinwachsen:
Der junge Mensch ist in seiner Bildungskarriere nicht nur Teilnehmer einer dieser drei Bildungsstufen, sondern im Sinne einer ganzheitlichen Schulbildung Teilnehmer jeder dieser drei Bildungsstufen. Im Gegensatz zu seiner späteren Ausbildung etwa auf der Universität unterliegt der noch unmündige Heranwachsende ungeschützt dramatischen Einflüssen religiöser Fremdbestimmung. In der Zeit seiner noch Unreife, in der er bis zu seiner Mündigkeit am meisten gefährdet ist, wird er vom Staat trotz dessen Bildungskompetenz nicht vor den beliebigen Einflüssen der Religion geschützt. Der Staat liefert in seinem säkularen Schulsystem das rationale Wirklichkeitsverständnis den Infragestellungen der Religion völlig aus.
Gerade deshalb muss der säkulare Staat seine säkularen Räume, vor allem die Bildung der Kinder und Jugendlichen, von verordnetem Glaubensunterricht in welcher religiösen Form auch immer völlig freihalten. Säkulare Räume sind glaubensneutrale Räume, gerade weil der Einzelne, auch junge Mensch, glauben kann und soll, was er selber will. Eben nicht, um ihn an einer eigene Religion und Weltanschauung zu hindern, sondern um ihm die persönliche Religion und Weltanschauung in größtmöglicher Freiheit zu ermöglichen. Das Recht auf die eigene Religion ist ein hohes Rechtsgut des säkularen Staates.
Allerdings: Politiker, die in ihren Staatsverpflichtungen zuerst bekennen, dass sie an Gott glauben, bevor sie ihre Parteizugehörigkeit bekannt machen, die um die Ehrenplätze in kirchlichen Gremien kämpfen, vermitteln wenig Vertrauen für die Sache des säkularen Staates. Willfähriges Gottbekennen ist in unserem Staat geradezu zu einer Manie geworden. Der persönliche Gott wird aufs äußerste instrumentalisiert bis in die Wahlkämpfe hinein.
Unser gegenwärtiger demokratischer Staat ist zu feige und religiös zu korrupt, um die säkularen Prinzipien unserer Verfassung in exakte säkulare Erziehungs- und Schulpolitik umzusetzen und darüber hinaus generell die Trennung von Staat und Kirche, die Trennung von Staat und Religion konsequent durchzusetzen.
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Am nächsten Morgen um 6.40 Uhr sitze ich wieder im Flieger zurück über München nach Hamburg. Im Flug ist Zeit, die Gedanken über die Pisa-Eindrücke kreisen zu lassen:
Die katholische Kirche, das ist eine Sache für sich: Ihr fanatischer Wahrheitsanspruch, den sie mit allen legitimen und illegitimen Mitteln gegen Staat und Gesellschaft durchzusetzen sucht. Ihre Dogmenakrobatik im Glauben gegen die Vernunft und gegen die Natur. Ihr antidemokratisches Herrschaftssystem mit selbstherrlicher Obrigkeitsspitze. Ihre scheinheilige Moral und ihr Pomp im krassen Gegensatz zur Botschaft des Jesus von Nazareth. Ihre Missachtung der autonomen Individualität.
Wir Menschen heute im Zeitalter der Vernunft: Das ist doch eigentlich eine völlig andere Sache. Wir haben alle Möglichkeiten, uns frei zu setzen von jeder religiösen Fremdbestimmung. Wir können realistisch leben. Wir können Irrtümer zugeben, weil wir keinem absoluten Wissen verpflichtet sind. Wir können unser Privatleben nach eigener Moral gestalten. Wir können frei denken und innerhalb liberaler Gesetze und Menschenrechte in großer Unabhängigkeit handeln. Für alle garantiert von einer menschlich-demokratischen Verfassung.
Warum laufen trotzdem immer noch so viele Menschen der Religion nach? Weil sie als Kinder dazu verführet worden sind? Sicherlich auch. Ziemlich enttäuscht hat schon der Aufklärer Kant festgestellt, dass jeder Mensch für seine Unwissenheit und für seinen Mangel an Aufklärung selber Schuld ist und damit auch für sein ständiges Verführtwerden. Der Mensch gibt sich selbst nicht genügend Mühe. Er trifft nicht rechtzeitig die richtigen Entscheidungen, wenigstens nicht zu einer Zeit, in der vernünftige Veränderung im Leben noch richtig Sinn machen würde.
Es gibt so vielfältige Möglichkeiten unserer Zeit, sich von allem religiös Fragwürdigen zu trennen. Unsere Zeit stellt derart viele Argumente und neue Lebensmodelle zur Verfügung, dass jeder für sich selbst einen eigenen neuen Lebensplan entwickeln kann. Kein Mensch muss in unserer Zeit heute in der Hinterwelt versinken. So viele Menschen haben gute Erfahrungen gemacht mit einem Leben ohne Gott. Es ist heute leicht, sich zu befreien und als autonomer Mensch sein Leben zu meistern.
Galilei war kein Misserfolg. Selbst wenn auch er letztlich dem persönlichen Druck des Vatikan hat nicht standhalten können. Er war doch aber auch aufs äußerste exponiert, indem er uns Menschen der Neuzeit mit seinen Erkenntnissen als erster das Fenster in die reale Welt aufgestoßen hat. Wir können und müssen heute deshalb immer wieder da anfangen, wo Galilei unter religiösem Zwang hat aufhören müssen. Wir müssen gegen diesen Zwang immer erneut neue Wege der Aufklärung gehen,
– Wege, die die säkulare Realität gegen den Jenseitsglauben setzen,
– Wege, die die säkulare Humanität höher einschätzen als eine jenseitige Moral,
– Wege, die eine säkulare Ich-Identität aufzeigen gegen die religiöse Verherrlichung des Himmels.
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Ich hatte mir zuhause noch schnell meinen kleinen Suhrkamp-Band Bertold Brecht, Leben des Galilei in den Mantel gesteckt, zerlesen schon seit Abiturzeiten. Fast automatisch schlage ich meine Lieblingsstelle auf:
Galilei, in seinem Haus: Eure Hoheit, ich bin glücklich, in Eurer Gegenwart die Herren Eurer Universität mit den Erneuerungen bekannt machen zu dürfen … Ist es den Herren angenehm, mit einer Besichtigung der Jupitertrabanten zu beginnen, die Mediceischen Gestirne?
Der Philosoph: … Herr Galilei, bevor wir Ihr berühmtes Rohr applizieren, möchten wir um das Vergnügen eines Disputs bitten. Thema: Können solche Planeten überhaupt existieren.
Der Mathematiker: Eines formalen Disputs.
Galilei: Ich dachte mir, Sie schauen einfach durch das Fernrohr und überzeugen sich.
Der Mathematiker: Gewiss, gewiss. Es ist Ihnen natürlich bekannt, dass nach der Ansicht der Alten solche Sterne nicht möglich sind, die um einen anderen Mittelpunkt als die Erde kreisen, noch solche Sterne, die im Himmel keine Stütze haben?
Galilei: Ja
Der Philosoph: Und, ganz abgesehen von der Möglichkeit solcher Sterne, die der Mathematiker – er verbeugt sich gegen den Mathematiker – zu bezweifeln scheint, möchte ich in aller Bescheidenheit als Philosoph die Frage aufwerfen: Sind solche Sterne nötig? Aristotelis divini univsersum …
Galilei: Sollten wir nicht in der Umgangssprache bleiben? Mein Kollege versteht kein Latein.
Der Philosoph: Ist es wichtig, dass er uns versteht?
Galilei: Ja.
Philosoph: Das Argument wird dann aber an Glanz verlieren: – Das Weltbild des göttlichen Aristoteles mit seinen mystisch musizierenden Sphären und kristallenen Gewölben und den Kreisläufen seiner Himmelskörper und dem Schiefenwinkel der Sonnenbahnen und den Geheimnissen der Satellitentafeln und dem Sternenreichtum des Katalogs der südlichen Halbkugel und der erleuchteten Konstruktion des celestialen Globus ist ein Gebäude von solcher Ordnung und Schönheit, dass wir wohl zögern sollten, diese Harmonie zu zerstören.
Galilei: Wie, wenn Eure Hoheit die sowohl unmöglichen als auch unnötigen Sterne nun durch dieses Fernrohr wahrnehmen würde?
Der Mathematiker: Man könnte versucht sein zu antworten, dass Ihr Rohr, etwas zeigend, was nicht sein kann, ein nicht sehr verlässliches Rohr sein müsste, nicht?
Galilei: Was meinen Sie damit?
Der Mathematiker: Es wäre doch viel förderlicher, Herr Galilei, wenn Sie uns die Gründe nennen, die Sie zu der Annahme bewegen, dass in der höchsten Sphäre des unveränderlichen Himmels Gestirne frei schwebend in Bewegung sein können.
[Redaktion: Genau eben die kannte Galilei noch nicht. Man wusste noch nichts von Gravitation und damit noch nichts von der Anziehungskraft der Materie. Das wird erst durch Isaak Newton entdeckt. Damit musste die Frage nach den Grund offen bleiben, wieso sich die Sterne am Himmel in festen Bahnen frei bewegen können und nicht ins Weltall fallen.]
Der Philosoph: Gründe, Herr Galilei, Gründe!
Galilei: Die Gründe? Wenn ein Blick auf mein Gestirn selber und meine Notierungen das Phänomen zeigen? Mein Herr, der Disput wird abgeschmackt.
Der Mathematiker: Wenn man sicher wäre, dass Sie sich nicht noch mehr aufregen, könnte, man sagen, dass, was in Ihrem Rohr ist und was am Himmel ist, zweierlei sein kann.
Der Philosoph: Das ist nicht höflicher auszudrücken.
Federzoni: Sie denken, wir malten die mediceischen Sterne auf die Linse!
Galilei: Sie werfen mir Betrug vor?
Der Mathematiker: Ihr Instrument, mag man es nun Ihr Kind, mag man es Ihren Zögling nennen, ist sicher äußerst geschickt gemacht, kein Zweifel.
Großherzog: Ist etwas nicht in Ordnung mit meinen Sternen?
Hofdame: Es ist alles in Ordnung mit den Sternen Eurer Hoheit. Die Herren fragen sich nur, ob sie auch wirklich, wirklich da sind.
Galilei: Werden die Herren jetzt also durchschauen oder nicht.
Der Philosoph: Sicher, sicher.
Der Mathematiker: Sicher … Früher oder später wird Herr Galilei sich doch noch mit den Tatsachen befreunden müssen: Seine Jupiterplaneten würden doch die Sphärenschalen durchstoßen müssen?
Federzoni: Sie werden sich wundern: Es gibt keine Sphärenschalen.
Der Philosoph: Jedes Schulbuch wird Ihnen sagen, dass es sie gibt, mein guter Mann.
Federzoni: Dann her mit neuen Schulbüchern.
Der Philosoph: Euer Hoheit, mein verehrter Kollege und ich stützen uns auf die Autorität keines Geringeren als des göttlichen Aristoteles selber.
Galilei, fast unterwürfig: Meine Herren, der Glaube an die Autorität des Aristoteles ist eine Sache, Fakten, die mit den Händen zu greifen sind, eine andere. Sie sagen, nach dem Aristoteles gib es dort oben Kristallschalen, und so können gewisse Bewegungen nicht stattfinden, weil die Gestirne die Schalen durchstoßen müssten. Aber wie, wenn Sie diese Bewegungen konstatieren könnten? Vielleicht sagt ihnen das, dass es die Kristallschalen gar nicht gibt. Meine Herren, ich ersuche Sie in aller Demut, Ihren Augen zu trauen.
Der Mathematiker: Lieber Galilei, ich pflege mitunter, so altmodisch es Ihnen erscheinen mag, den Aristoteles zu lesen und kann ihnen versichern, dass ich da meinen Augen traue.
Galilei: Ich bin es gewohnt, die Herren aller Fakultäten sämtlichen Fakten gegenüber die Augen schließen zu sehen und so zu tun als sei nichts geschehen. Ich zeige meine Notierungen, und man lächelt, ich stelle mein Fernrohr zur Verfügung, dass man sich überzeugen kann, und man zitiert Aristoteles. Der Mann hatte kein Fernrohr!
Der Mathematiker: Allerdings nicht, allerdings nicht.
Der Philosoph, groß: Wenn hier Aristoteles in den Kot gezogen werden soll, eine Autorität, welche nicht nur die gesamte Wissenschaft der Antike, sondern auch die Hohen Kirchenväter selber anerkannten, so scheint jedenfalls mir eine Fortsetzung der Diskussion überflüssig. Unsachliche Diskussionen lehne ich ab. Basta.
Galilei: Die Wahrheit ist das Kind der Zeit, nicht der Autorität. Ich habe das unvorstellbare Glück gehabt, ein neues Instrument in die Hand zu bekommen, mit dem man ein Zipfelchen des Universums etwas, nicht viel, näher besehen kann. Benützen Sie es.
Der Hofmarschall: Euer Hoheit, zu meiner Bestürzung stelle ich fest, dass sich die außerordentlich belehrende Unterhaltung ein wenig ausgedehnt hat. Seine Hoheit muss vor dem Hofball noch etwas ruhn.
Auf ein Zeichen verbeugt sich der Großherzog vor Galilei.
Der Hof schickt sich schnell an zu gehen.
Galilei, hinterherlaufend: Aber die Herrn brauchen wirklich nur durch das Instrument zu schauen…
Dr. theol. Paul Schulz
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Herausgeber von ATHEODOC.com
Die neue Atheistische Enzyklopädie der Aufklärung.
Hamburg, 26. Mai 2012
Atheodoc Deutschland e.V. (i.Gr.)
Eintrag vom 17.01.2013
Dreizehn Schlussthesen
Zur “Willensfreiheit des Menschen“
Dreizehn Schlussthesen
zur Willensfreiheit des Menschen
von Dr. theol. Paul Schulz
Mit diesen dreizehn Thesen hat Paul Schulz
seine Beiträge zum Erkenntnis-Duell abgeschlossen.
Eintrag vom 22.12.2012
Weihnachten für Atheisten
Do it yourself: Friede auf Erden
Heute kann nur leben, wer an kein Happy-End mehr glaubt. So hart reden wir, wenn uns Freundschaft zerbricht, innige Liebe erlischt, Unglück oder Tod hoffnungslos macht, Wenn wir täglich die Katastrophen sehen, die die Natur anrichtet, die Grausamkeiten und das Elend, das Menschen den Menschen antun. Das Leben setzt viele harte Schlusspunkte ohne Wiederkehr.
Die alte Weihnachtsgeschichte behauptet es anders. Für sie gibt es trotz aller Zusammenbrüche so etwas wie ein ewiges Heil. Sie verspricht himmlische Rettung, Frieden, Glück. Mitten hinein in die dunkelste Nacht strahlt für sie göttliches Licht.
Nichts als Illusion – sagt Karl Marx. Je ärmer die Menschen dran sind, desto süchtiger greifen sie nach solchen religiösen Trugbildern. Für die Entbehrungen ihres Lebens brauchen sie Betäubungsmittel. Mit frommen Illusionen laufen sie gleichsam immer etwas religiös beschwipst durch die Welt.
Die Weihnachtsgeschichte mit dem Jesuskind in der Krippe und darüber die himmlischen Engelscharen – das ist so eine fromme Illusion. Es ist ein historisches Zeugnis dafür, wie sich die Menschen damals -vor 2000 Jahren – ihr Glück erträumt haben.
Sagen wir es noch deutlicher: Nie haben je Engel vom Himmel herunter göttliches Heil verkündet, kein Stern hat himmlische Rettung verheißen; Maria war keine jungfräuliche Gottesmutter; ja, Jesus ist nicht einmal in Bethlehem geboren, sondern in Nazareth – Kind normaler Eltern: Maria und Joseph.
Selbst wenn viele fromme Weihnachtspredigten es anders behaupten – es bleibt nichts Göttliches.
Es bleibt nur Menschliches: Eben unsere uralte Sehnsucht, es möchte alles viel besser sein, als es ist. Unser Wunsch also, über das Alltägliche hinauszukommen und angesichts von Not und Verzweiflung, von Angst und Schwierigkeiten Glück zu finden.
Gerade auch kritische Christen haben sich deshalb mit Bedingungen, die das Leben bedrohen, nie abfinden wollen. Auch für sie kann die Welt so nicht bleiben, wie sie ist. Eine bessere Welt muss geschaffen werden. Das Menschsein darf nicht in vorhandenen Positionen festgehalten, sondern muss vorwärts blickend befreit werden. Kein Happy-End also – aber persönlicher Mut nach vorn!
Und wir Atheisten?
Wenn es nur so viel Glück gibt, wie Menschen Glück schaffen, dann müssen wir selber für mehr Glück sorgen.
Wenn es nur so viel Trost gibt, wie Menschen trösten, dann müssen wir selber mehr trösten.
Und wenn es nur so viel Liebe gibt, wie Menschen lieben, dann müssen wir selber mehr lieben.
Wir Menschen ganz allein sind verantwortlich. Wir müssen unsere Welt im Kleinen und im Großen mit klarem Verstand schnellstmöglich in Ordnung bringen.
Eintrag vom 02.08.2012
„Die Gedanken sind frei“
Tagungsbericht des Humanistischen Pressedienstes vom 30.05.2012
Paul Schulz stellte in einem ersten Überblick sein neues Projekt vor: ATHEODOC, ein, wie er sagt: „Internetportal für moderne Aufklärung“. Zwei Jahre habe er mit Daniel Schneider intensiv daran gearbeitet und nun, pünktlich zur Atheist Convention, wurde es frei geschaltet. Leider war es technisch nicht möglich, eine Internetverbindung auf den Beamer zu legen und so illustrierte er mit ein paar Screenshots, worum es ihm dabei geht.
Atheodoc sei das Zusammenspiel von alt und neu, denn alles Geistesgeschichtliche brauche seine Bewährung in der Gegenwart. Insofern sei das Portal eine neue Ebene, die auf dem „Alten“ beruhe. Die Religion hatte ihre Zeit, u.a. als geistige Vorstufe in der Menschheitsgeschichte. Wir können heute aber darüber hinausgehen. So, wie es in der Präambel heißt: „Es ist eine befreiende Freude, ohne Verpflichtung gegenüber alten Religionsvorstellungen über das Leben und seine vielen Möglichkeiten neu nachzudenken. Befreit von theologischen Dogmen offene Perspektiven der Wirklichkeit zu entwickeln. Sich ohne Glaubenszwänge die Chancen und Dimensionen des Menschlichen noch einmal ganz neu bewusst zu machen.“
Das Vorbild ist die Enzyklopädie der Aufklärung von Diderot, der seinerzeit mit 13 Artikeln begann, und schließlich waren es 40 Bände mit hunderten Autoren. Atheodoc ist für 16 Bücher konzipiert. Es geht dabei um die Abgrenzung gegen die Religion, die Entwicklung eines „Magnus Consensus“ – denn Atheismus sei keine Beliebigkeit verschiedenster Meinungen -, und schließlich ist die Basis stets das (naturwissenschaftliche) Vernunftdenken.
Es soll und wird Diskurse geben, in einem Diskursforum. Und von der Bühne lud Paul Schulz den im Publikum anwesenden Michael Schmidt-Salomon zu einem ersten „Erkenntnis-Duell“ über die Frage des Freien Willens ein, was der annahm.
Eintrag vom 22.05.2012
Ethik ohne Gott
Kommentierte Themen für die Schweizer Vortragsreihe
vom 4. bis 8. (11. ) Juni 2012
auf Einladung des Schweizer Freidenker-Verband
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Zürich
Montag, 4. Juni 2012
Volkshaus, Grüner Saal, 19 Uhr
Gerechtigkeit. Recht und Volksmoral
Seit dem Codex Hammurabi vor 3750 Jahren besitzt die Menschheit ein Bewusstsein von Gerechtigkeit, von Recht und Gesetz, von Sitte und Moral. Ein riesiger Fortschritt in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft. Zugleich hat der einzelne Mensch aus seinen Bedürfnissen heraus immer wieder dagegen verstoßen, weil er so nicht kann oder so nicht will. Im Nichtwollen liegt das autonome Selbstbewusstsein des Ich.
Wie aber verantwortet sich ein autonomer Mensch ohne Gott?
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Luzern
Dienstag, 5 Juni 2012
Hotel Continental Park, 19 Uhr
Der Kampf um die säkularen Menschenrechte
Die christlichen Kirchen haben bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts gegen die Durchsetzung der Menschenrechte oft erbitterten Widerstand geleistet. Aus ethischem Monopolanspruch. Aus Verachtung der nichtchristlichen Heiden. Aus Kontra zum Säkularismus. Sowohl die UNO-Menschenrechtserklärung von 1949, wie auch die EU-Charta der Grundrechte von 2007 übersteigen in ihrem Anspruch und auch in ihrem Inhaltswert alle religiösen Ethikdokumente. Auch die biblischen Zehn Gebote.
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Bern
Donnerstag, 7. Juni 2012
Hotel Bern, 19.30 Uhr
Der autonome Mensch.
Sein Wertesystem und dessen Legitimation
Der autonome Mensch und sein Wertesystem leiten sich nicht aus der christlich-biblischen Tradition ab. Der christliche Mensch ist total von Gott abhängig und ist nicht autonom. Die Freisetzung des Menschen liegt vielmehr in der altgriechischen Bürger-Demokratie und dem freiheitlichen Denken der altgriechischen Vernunftphilosophie. In ihnen ist die Idee des selbstständigen Bürgers entstanden, der in seinem Handeln der Gesellschaft und dem Staat verantwortlich ist. Die moderne Demokratie und ihre autonome Bürgerverantwortung gründen nicht auf dem christlichen Abendland des Glaubens, sondern auf dem antiken Abendland der sich selbst verantwortenden Vernunft
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Susten im Wallis
Freitag, 8. Juni 2012
Meschlersaal, 19 Uhr
Säkulare Humanität.
Autonomes Wertesystem und dessen Legitimation
Humanität ist kein christlicher Begriff. Cicero hat den Begriff humanitas geprägt, um damit die Vielzahl der antiken ethischen Gedanken auf eine gemeinsamen Punkt zu bringen. Indem Petrarca am Anfang der Renaissance Cicero wiederentdeckte, entdeckte er auch den Begriff humanitas neu und wurde selbst zum Vater des Humanismus. Von daher hat sich in der Neuzeit ein humanistisches Wertesystem entwickelt, von der deutschen Klassik (Wilhelm von Humboldt), über den Sozialismus (Karl Marx) bis hin zum Existentialismus (Jean-Paul Sartre). Die neue atheistische Bewegung speziell in Deutschland basiert ethisch auf einem weltlichen Humanismus.
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Als Anhang, weil die Schweizer Vortragsreihe in 5 Themenkreisen konzipiert ist:
Geplant 11. Juni 2012 in Basel oder St. Gallen
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Verkündigte Jesus von Nazareth
eine atheistische Nützlichkeitsethik?
Jesus hat die Aufforderung an die Menschen zum humanen Handeln nicht mit Gott begründet. Er hat in allen Aussagen dazu immer den leidenden Menschen selbst als alleinigen Grund des Handelns dargestellt. Speziell in seinen Beispielgeschichten von der Barmherzigkeit des Samariters, von der Liebe des Vaters, von der Gnade des Königs, in den sozialen Seligpreisungen, mit seiner Aufforderung zur Feindesliebe und mit der Goldenen Regel ist der leidende Mensch das Maß für ethisch verantwortliches Handeln. Allerdings kann man das aus seinen Texten nur erkennen, wenn man Jesus nicht im Sinne der Kirche dogmatisch glorifiziert, sondern ihn als starke historisch-menschliche Persönlichkeit analysiert.
Wissenschaftliche Basis dafür ist die moderne historisch-kritische Forschung
im Sinne Rudolf Bultmann mit ihrer Textkritik der Evangelien.